Samstag, 29. November 2014

Katholisch und wiederverheiratet geschieden ? ! Teil I

Teil 1: Biblische, kirchengeschichtliche und kirchenrechtliche Grundlegung



Einleitung



Viele Mitchristen warten mit mir seit langem darauf, dass zumindest an einer Stelle des festgemauerten Gebäudes der katholischen Morallehre etwas in Bewegung kommt, woraus eine Veränderungsdynamik entstehen könnte. Als Papst Benedikt sich 2010 im Gespräch mit Peter Seewald hinsichtlich begründeter Einzelfälle relativierend zur Kondomverwendung äußerte, rief dies bei dem Pfarrer Stefan Hippler, der in Südafrika im Bereich von HIV/AIDS arbeitet, eine optimistische Vision hervor: Ich sehe „einen ersten feinen Haarriss in einer Mauer aus Beton. Wer ein wenig von Physik versteht, der weiß, dass solche feinen Risse größer werden.“ (SZ 23.11.2010) Im weiteren Verlauf von Benedikts Pontifikat blieb aber erst einmal alles beim Alten. Mit Franziskus kamen dann neue Hoffnungen auf Veränderung in der katholischen Kirche auf. Allerdings bekommt es der neue Papst bei seinen Reformbemühungen mit starkem kurialen und traditionalistischen Gegenwind zu tun. Nach meiner Einschätzung bestehen bezüglich des Problemfeldes „Wiederverheiratet Geschiedene“ die größten Chancen, dass es zu einem pastoralen Fortschritt kommt. Was mich dabei besonders interessiert, ist das Verhältnis von apodiktischen kirchenrechtlichen Festlegungen einerseits und  anzustrebendenen menschenfreundlichen pastoralen Lösungen andererseits. Die Meinungen über mögliche, wünschenswerte und notwendige Veränderungsschritte gehen innerhalb der katholischen Kirche deutlich auseinander. Dazu nur einige wenige Stimmen:

Für den Präfekten der Glaubenskongregation, Gerhard Ludwig Kardinal Müller, ist „eine Zulassung von wiederverheirateten Geschiedenen zu den Sakramenten aus ihrer inneren Natur heraus nicht möglich.“ (L’Osservatore Romano, 23.10.2013) Kardinal Walter Kasper dagegen, den Papst Franziskus beauftragt hatte, im Vorfeld der beiden Bischofssynoden zum Thema Familienpastoral vor der  Vollversammlung der Kardinäle im Februar 2014 das Einleitungsreferat zu halten, sieht Öffnungsmöglichkeiten: „Eine generelle Lösung für eine Sakramentenzulassung von wiederverheirateten Geschiedenen könne es nicht geben. Wohl aber könne man differenziert über Einzelfälle nachdenken.“ Nach der Auffassung der Kirchenrechtlerin Sabine Dehmel kann die Kirche die erste Ehe nicht aufheben, sie könnte aber in Ausnahmefällen über eine Dispens (Ausnahmebewilligung) von den Rechtswirkungen der ersten Ehe befreien. (Dehmel 2014) Der Kirchenrechtler Matthäus Kaiser mahnt die überfällige Rezeption des konziliaren Eheverständnisses an, woraus sich dann neue Möglichkeiten für den Umgang mit wiederverheiratet Geschiedenen ergäben. (Kaiser 1993) 

Bei meinen Recherchen zum Thema stellte ich fest, dass es aufgrund der vielschichtigen Materie unabdingbar ist, sich mit den religionsgeschichtlichen Wurzeln und der katholischen Glaubenstradition auseinanderzusetzen, will man zu einer Abwägung und Bewertung kommen. Im ersten Teil dieses Blogbeitrags werde ich zunächst einen einschlägigen Fall aus dem 16. Jahrhundert exemplarisch darstellen. Anschließend komme ich auf die Grundlegung im Neuen Testament zu sprechen, skizziere die Entwicklung der katholischen Ehedoktrin und beleuchte die kirchenrechtliche Perspektive. Im Teil 2 soll es dann um Lösungsansätze gehen.



Eine Zweitehe mit Folgen


Die größte Sprengkraft hat das Thema Zweitehe ab dem Jahr 1527 entfaltet, als ein eherechtlicher Streit zu einem Schisma führte. In König Heinrich VIII. von England war die Liebe für seine Hofdame Anne Boleyn entbrannt. Nachdem diese so selbstbewusst war, in eine Beziehung zum König nur auf der Grundlage einer gültigen Ehe einzuwilligen, wandte sich Heinrich VIII. an Rom. Er wollte seine bestehende Ehe mit  Katarina von Aragon, die nur aufgrund einer päpstlichen Dispens durch Papst Julius II. zustande gekommen war, annullieren lassen. Papst Clemens VII. lehnte dieses Ansinnen mit dem karrieremachenden Satz „Sine dominico non possumus“  - „Ohne (diese) Sache des Herrn können wir nicht (leben)“ ab. Daraufhin betrieb der englische König konsequent die Abspaltung der Kirche von England von der römisch-katholischen Kirche und ließ sich 1534 als Oberhaupt des Staates und der anglikanischen Kirche anerkennen.

Für Kardinal Gerhard Ludwig Müller ist dieses geschichtliche Ereignis ein Beispiel dafür, wie die katholische Kirche „die absolute Unauflöslichkeit der Ehe selbst um den Preis großer Opfer und Leiden verteidigt.“ (L’Osservatore Romano, 23.10.2013) Was bei Kardinal Müller so eindeutig und heroisch klingt, erweist sich bei näherer Betrachtung des Falles als diffizile Angelegenheit. Es zeigt sich nämlich, wie sehr Ehestiftung, Ehezulassung und Ehegerichtsbarkeit von zeit- und gesellschaftsbedingten Usancen, Interessen und Machtansprüchen beeinflusst sind. Damals wie heute kommt die katholische Kirche nicht daran vorbei, dass, wenn Idealität und Realität aufeinandertreffen, der absolut gesetzte Wert der Unauflöslichkeit der Ehe mit konkreten Konstellationen des Lebens vermittelt werden muss.

Die 1485 geborene Katharina von Aragon war das fünfte und letzte Kind von Königin Isabella I. von Kastilien und König Ferdinand II. von Aragon. Ihren Eltern wurde 1494 von Papst Alexander VI. der Titel der reyes católicos (Katholische Könige) verliehen. Sein katholisches Selbstverständnis hinderte das Königspaar allerdings nicht daran, seine vier Töchter im Rahmen machtpolitischer Strategien zu instrumentalisieren. Katharina sollte mit dem englischen Thronfolger verehelicht werden, um das gegen Frankreich gerichtete Bündnis zwischen England und dem gerade entstehenden Spanien zu festigen. Katharina war drei Jahre alt und Arthur Tudor, ältester Sohn von König Heinrich VII., zweieinhalb als die Königshäuser im Jahr 1489 vertraglich vereinbarten, dass die beiden Kinder kurz nach Arthurs vierzehntem Geburtstag verehelicht werden sollten. Am 14. November 1501 fand die Heirat in der Saint Paul’s Cathedral statt. Vier Monate später war Katharina bereits Witwe, nachdem ihr Gemahl einer fiebrigen Krankheit erlegen war.
Um das Bündnis von Spanien und England aufrecht zu erhalten, kamen die Elternhäuser überein, dass Katharina Arthurs zehnjährigen Bruder Heinrich heiraten solle. Es war jedoch kirchenrechtlich nicht statthaft, die Witwe des eigenen Bruders zu ehelichen, und so bedurfte es der päpstlichen Dispens durch Julius II.. Drei Monate nach seiner Thronbesteigung heiratete im Jahr 1509 der 18-jährige König Heinrich VIII. die 23-jährige Katharina.
Als sich der Monarch ab 1526 von seiner Frau Katharina trennen wollte, kam es zu jahrelangen Auseinandersetzungen um die kirchenrechtliche Gültigkeit dieser Ehe. Der Letztentscheid über eine Ehenichtigkeit lag bei Papst Clemens VII., der sich jedoch nicht in einer neutralen Position befand. Auf der Seite von Katharina von Aragon stand deren Neffe, der römisch-deutsche Kaiser Karl V., und mit dem hatte sich Clemens VII. überworfen. Es wird darüber spekuliert, dass sich der Papst möglicherweise deshalb gegen eine Annullierung der Ehe Heinrichs entschied, weil er Sanktionen gegen Kirchenstaat und Papsttum befürchtete.

Wie dieses Beispiel zeigen einige weitere in der Kirchengeschichte, dass das Prinzip der Unauflöslichkeit der Ehe und die dadurch in den Griff genommene Lebenspraxis die eine Sache, das Reagieren von Päpsten auf situative Anforderungen und spezifische kirchenhistorisch-gesellschaftliche Konstellationen eine andere waren.


Was findet sich über die Ehe im Neuen Testament ?


Die Konflikthaftigkeit des Themas Ehe-Trennung-Wiederverheiratung spiegelt sich bereits in der Bibel.

Im ersten Brief an die Korinther, der zeitlich vor den Texten der Evangelisten anzusiedeln ist, greift Paulus eine asymmetrische Ehekonstellation auf, die dadurch entstanden ist, dass sich einer der Ehepartner dem Christentum angeschlossen hat und sich hat taufen lassen.
„Den Übrigen sage ich, nicht der Herr: Wenn ein Bruder eine ungläubige Frau hat und sie willigt ein, weiter mit ihm zusammenzuleben, soll er sie nicht verstoßen. Auch eine Frau soll ihren ungläubigen Mann nicht verstoßen, wenn er einwilligt, weiter mit ihr zusammenzuleben. … Wenn aber der Ungläubige sich trennen will, soll er es tun. Der Bruder oder die Schwester ist in solchen Fällen nicht wie ein Sklave gebunden; zu einem Leben in Frieden hat Gott euch berufen.(1. Kor 7.12-15)
Demnach kann es für Paulus ein legitimer Trennungsgrund sein, wenn es in einer Ehe wegen unterschiedlicher religiöser Identifizierungen zu Zerwürfnissen kommt.

Die zentrale Stelle des Neuen Testamentes zum Thema Ehe findet sich im zehnten Kapitel des Markusevangeliums:
„Da kamen Pharisäer zu ihm und fragten: Darf ein Mann seine Frau aus der Ehe
entlassen? Damit wollten sie ihm eine Falle stellen.
Er antwortete ihnen: Was hat Euch Mose vorgeschrieben?
Sie sagten: Mose hat erlaubt, eine Scheidungsurkunde auszustellen und (die Frau) aus der Ehe zu entlassen.  
Jesus entgegnete ihnen: Nur weil ihr so hartherzig seid, hat er euch dieses Gebot
gegeben.
Am Anfang der Schöpfung aber hat Gott sie als Mann und Frau geschaffen. Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen und die zwei werden ein Fleisch sein. Sie sind also nicht mehr zwei, sondern eins. Was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen.“ 
(Markus 10.2-9)

Sowohl den Pharisäern als auch Jesus sind das mosaische Gesetz, dass ein Mann seine Frau im „Fall einer unehrenhaften Sache“ (Dtn 24.1) entlassen darf, bekannt. Ebenso wissen sie um den Auslegungsstreit zwischen der Schule des Rabbi Hillel, für den eine Scheidung Ehebruch voraussetzt, und der Schule des Rabbi Schammai, der dem Mann eine Scheidung aus verschiedensten Gründen zugesteht. Jesus geht es offensichtlich nicht darum, sich in dieser Auseinandersetzung zu positionieren und ein eigenes Gesetz zu proklamieren, sondern er stellt eine rhetorische Gegenfrage, mit der beabsichtigten Folge, dass die gesellschaftliche Ehe- und Scheidungsordnung auf der Seite der Pharisäer bleibt. 

Dem gegenüber nimmt Jesus Bezug auf die Ordnung des Anfangs, die Schöpfungsordnung, wie sie im ersten Buch Mose, dem Buch Genesis niedergelegt ist. „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“ (1. Mose 1) Nach den jeweiligen Schöpfungsetappen taucht immer wieder eine sich wiederholende Kernaussage auf: „Gott sah, dass es gut war.“  Nur an einer Stelle erkennt Gott einen Mangel: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein bleibt.“ (1. Mose 2.18) Der Mensch ist ergänzungsbedürftig, und „für den Jahwisten ist die Schöpfung erst gut durch die Liebe zwischen Mann und Frau.“ (Drewermann, 1992, S. 105) Mann und Männin – wie Adam seine Gefährtin nennt - sind sich denkbar nah, denn im Bild der herausgenommenen Rippe klingt etwas an von der „Herzenswunde“ des Menschen und seinem sehnsüchtigen Verlangen nach Liebe. In der ursprünglichen, unverfälschten Liebe im Raum des Paradieses ist der Mensch in die Liebe Gottes hineingenommen und spürt das Leben „als ein Geschenk der Gnade. Die Liebe ist die einzige Macht, die uns ein Stück von jener Welt zeigt, wie Gott sie meinte, als er uns erschuf; und nur von diesem Grunderleben der Liebe her ordnen sich auch die Schwierigkeiten der Ehe.“ (Drewermann, 1991, S. 95)

Vor diesem Hintergrund ist es denkbar fragwürdig, wenn die katholische Lehrtradition das Jesuswort „Was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen“ (Markus 10.9) aus dem Schöpfungskontext, in dem die Ehe ein reines Werk der Gnade Gottes ist, herauslöst, und zum Fundament der kirchlichen Rechtsprechung macht. „Auf der Grundlage der Gnade lassen sich keine Gebote begründen; es lassen sich nur Folgerungen ableiten, die sich wie selbstverständlich ergeben, wenn und solange ein Mensch in der Gnade steht.“ (Drewermann, 1992, S. 72)

Während der Jesus des Markus-Evangeliums sich entschieden von den Pharisäern absetzt, die sich als legitime Ausleger der mosaischen Gesetze verstanden, formt Matthäus (Mt 5.32 und 19.9) den Markustext (Mk 10.2-12), der ihm vorlag, vermutlich im  pastoralen Kontext seiner Gemeinde um. Indem er in das Wort Jesu an seine Jünger (Mk 10.11) die sogenannte „Unzuchtsklausel“ einfügt, kehrt er zur Ordnung des jüdischen Rechtes zurück.
„Ich sage euch: Wer seine Frau entlässt, obwohl kein Fall von Unzucht vorliegt, und
eine andere heiratet, der begeht Ehebruch.“ (Mt 19.9)
Nach der Darstellung des Evangelisten Matthäus ist die Ehe unauflöslich, es sei denn, es ist zu einem Ehebruch gekommen. Auf Matthäus werden sich in späterer Zeit sowohl Gegner der römischen Unauflöslichkeitsdoktrin als auch die Reformatoren berufen.

                                                   

Zur Genese der katholischen Ehelehre


Lässt sich bereits bei den Äußerungen und der Lebensführung Jesu „eine Tendenz zur Ungebundenheit und Familienferne“ (Reck, 79) ausmachen, so favorisiert Paulus eindeutig die Ehelosigkeit und damit die sexuelle Abstinenz. „Den Unverheirateten und den Witwen sage ich: Es ist gut, wenn sie so bleiben wie ich. Wenn sie aber nicht enthaltsam leben können, sollen sie heiraten. Es ist besser zu heiraten, als sich in Begierde zu verzehren.“ (1. Kor 7.8-9)
Während Paulus das sexuelle Begehren noch als anthropologisches Faktum in seine Überlegungen einbezog, dominierte bei den meisten Kirchenvätern die Sexualitätsfeindlichkeit. Der Kirchenvater Augustinus (354 - 430) postulierte, dass das Fieber der geschlechtlichen Lust überhaupt erst „nach der Sünde“ entstanden sei; ohne die Erbsünde würde „der Mann Nachkommenschaft zeugen, das Weib sie aufnehmen, mit Zeugungsgliedern, die durch den Willen, wann und soviel es nötig wäre, in Bewegung gesetzt, nicht durch Lust zur Erregung gebracht würden.“

Im alten Rom war die Ehescheidung Privatsache, und Mann und Frau konnten sich bei entschwundener einseitiger oder zweiseitiger ehelicher Zuneigung („affectio maritalis“) durch freie Willenskundgabe trennen. „Eine Ehe ohne affectio maritalis wäre für die Römer unmoralisch gewesen.“ (Gommenginger, in: Orientierung 1969, Nr.4, S. 41)

Hier führte die frühe Kirche einen Paradigmenwechsel herbei, denn nachdem die Kirchenväter die Enthaltsamkeit präferierten und Sexualität auf die Fortpflanzungsfunktion reduzierten, war auch die eheliche Zuneigung keine zu berücksichtigende Größe. Aus dieser Warte kam eine Ehescheidung nicht in Frage, und so statuierte Ambrosius (337 - 397) für alle Christen: „Wenn nun jede Ehe von Gott stammt, darf keine Ehe aufgelöst werden.“ 
Das Diktum der Unauflöslichkeit der Ehe buchstabierte sich im patriarchalen Umfeld für Mann und Frau allerdings unterschiedlich aus. So gesteht Basilius der Große (330 – 379) dem verlassenen Ehemann eine Zweitehe zu: „Diejenige …, die ihren Mann verlässt und zu einem andern Manne geht, ist eine Ehebrecherin; der verlassene Mann aber verdient Nachsicht, und diejenige, die mit einem solchen zusammenlebt, wird nicht verdammt.“  (Basilius 1) Die Frau dagegen hat bei ihrem gewalttätigen Ehemann auszuharren: „Dass die Gattin ihren Mann, auch wenn er rauh ist und ungeschlacht, geduldig ertragen muss und unter keinem Vorwande die Verbindung lösen darf. Er ist ein Schläger? Gleichwohl der Mann. Ein Trunkenbold? Gleichwohl dir verbunden durch die Natur. Er ist rauh und mürrisch? Gleichwohl ist er ein Glied von dir, und zwar der Glieder vorzüglichstes.“ (Basilius 2)

In der patristischen Epoche wurde nicht nur das sexuelle Begehren diffamiert, sondern die Ehe überhaupt als unvollkommen angesehen. Zur Demonstration seien zwei Aussprüche Tertullians angeführt: “Die Unverehelichten denken an Gott, die Verehelichten dagegen daran, wie jedes in der Ehe dem andern gefalle.“ (Tertullian 1) Oder drastischer: Die Ehe „basiert auf demselben Akte wie die Hurerei, darum ist es das beste für den Menschen, kein Weib zu berühren.“ (Tertullian 2) Von daher wundert es nicht, dass einige Kirchenväter, wie zum Beispiel Johannes Chrysostomos (gest. 407), Witwen und Witwern nicht zugestanden, eine zweite Ehe einzugehen.

„Bis zum vierten Jahrhundert besteht im Osten und Westen eine mehr oder minder übereinstimmende Tradition, die sich nun abweichend entwickelt. Während der Westen die Ehe immer mehr als Vertrag ansah, der die Grundlage für die Gnadenvermittlung ist und die Eheleute als Kontrahenten und Spender des Sakramentes betrachtete, ging im Osten die Richtung mehr dahin, die Ehe als Mysterium anzusehen, das auf der Schrift beruhte und die Mitwirkung der Kirche bei der Trauung forderte. So wurde die im Osten schon lange geübte Praxis der kirchlichen Trauung unter Kaiser Leo dem Weisen zirka 895 zur Gültigkeit der Ehe verpflichtend vorgeschrieben. Im Westen wurde die kirchliche Trauung erst auf dem Konzil von Trient durch das Caput Tametsi 1563 verpflichtend.“
(Gommenginger, in: Orientierung 1969, Nr.4, S. 43)

Die Zuordnung von Ehe und Sakrament nimmt erstmals das 2. Laterankonzil von 1139 vor (DH 718). Bestätigung fand diese Lehre durch ein Dekretale (päpstliche Entscheidung in einer Einzelfrage) des Papstes Lucius III. während der Synode von Verona 1184, durch das das zwischen Papst und Kaiser Friedrich Barbarossa verabredete Vorgehen gegen sogenannte Ketzer umgesetzt wird. Wir binden mit dem „Band des immerwährenden Anathema … alle, die sich nicht fürchten über das Sakrament des Leibes und Blutes unseres Herrn Jesus Christus oder über die Taufe oder über die Beichte der Sünden, die Ehe oder die übrigen kirchlichen Sakramente anders zu denken oder zu lehren, als es die hochheilige Römische Kirche predigt und beachtet.“  (DH 761)

Im Jahr 1159 wurde der gemäßigte Bologneser Kanonist Rolando Bandinelli zum Papst gewählt, der dann als Alexander III. rechtlich definierte, wann eine Ehe kirchlich gültig zu Stande kommt. Vor Alexanders Entscheidung gab es einen Streit zwischen den Kanonistenschulen von Paris und Bologna. „In Paris wurde im Anschluß an das römische Recht die Konsenstheorie vertreten, nach der die Ehe durch den Konsens der Partner zustandekommt, in Bologna dagegen unter dem Einfluss des germanischen Rechts die Kopulatheorie, nach der die Ehe durch die geschlechtliche Vereinigung der Partner zustandekommt.“ (Kaiser 1995, S. 51) 
Alexander III. entschied sich nicht zwischen den beiden Lehren, sondern bildete eine Synthese: „Die Ehe kommt durch den Konsens zu Stande und wird durch die Kopula gefestigt.“ (Dehmel) Diese Regelung gilt bis heute und ist als kirchenrechtliche Norm im Kanon 1141 CIC 1983 formuliert: „Die (sc. unter Getauften) gültige und (sc. geschlechtlich) vollzogene Ehe kann durch keine menschliche Gewalt und aus keinem Grunde, außer durch den Tod, aufgelöst werden.“ (Zitiert nach Dehmel, 2014, S. 304)

In dem vor Papst Gregor X. auf dem 2. Konzil von Lyon 1274 verlesenen Glaubensbekenntnis des byzantinischen Kaisers Michael Palaiologos wird artikuliert, dass die heilige Römische Kirche festhält und lehrt, „dass es sieben kirchliche Sakramente gibt Bezüglich der Ehe hält sie fest, dass weder ein Mann zugleich mehrere Frauen noch eine Frau (zugleich) mehrere Männer haben darf. Ist aber eine rechtmäßige Ehe durch den Tod eines der Ehegatten gelöst, so sagt sie, dass dann nacheinander eine zweite und dritte Ehe erlaubt ist.“ (DH 860)

1439 bis 1445 fand unter Papst Eugen IV. das Konzil von Florenz statt. In dem "Dekret für die Armenier" wird, die kirchlichen Sakramente betreffend, gelehrt, dass die Sakramente des Alten Bundes nur Zeichen der göttlichen Gnade waren. Darüber hinausgehend legt das Konzil für die Sakramente des Neuen Bundes fest: „diese unsrigen enthalten die Gnade und verleihen sie denen, die sie würdig empfangen.“ (DH 1310) Durch das katholische Ehesakrament würde demnach die göttliche Gnade real übertragen.
Im selben Dokument wird dekretiert, dass eine Ehe durch beidseitigen Ehewillen zustande kommt. „Die Wirkursache der Ehe ist normalerweise das durch gegenwartsbezogene Worte ausgedrückte gegenseitige Einverständnis. Es wird aber (im Rückbezug auf Augustinus, Verf.) ein dreifaches Gut der Ehe angeführt. Das erste ist, Nachkommenschaft zu empfangen und zur Ehre Gottes zu erziehen. Das zweite ist die Treue, die der eine Gatte dem anderen wahren muss. Das dritte ist die Untrennbarkeit der Ehe, deswegen, weil sie die untrennbare Verbindung Christi und der Kirche versinnbildlicht. Obwohl man aber aufgrund von Unzucht eine Trennung des Bettes vornehmen darf, ist es dennoch nicht erlaubt, eine andere Ehe zu schließen, da das Band einer rechtmäßig geschlossenen Ehe immerwährend ist." (DH 1327)

Im 16. Jahrhundert sah sich die katholische Kirche durch den Reformator Martin Luther herausgefordert. Luther sah die Ehe als Teil der Schöpfungsordnung und bestritt deren Sakramentalität. In der Schrift „Von Ehesachen“ postulierte er 1530: „Es kann ja niemand leugnen, dass die Ehe ein äußerlich, weltlich Ding ist, wie Kleider und Speise, Haus und Hof weltlicher Oberheit unterworfen.“ Die Rückführung der Ehe auf eine Naturordnung beinhaltete, dass sie als Allgemeingut der Menschen anzusehen ist und nicht der heilsvermittelnden Tätigkeit der Kirche bedarf. Als 'weltlich Ding' unterstellte Luther „die Ehe im Gegensatz zur katholischen Kirche weltlichem Recht und schuf die geistigen Voraussetzungen für die zivile Trauung, die staatliche Scheidungsgesetzgebung und staatlicher Eingriffsmöglichkeiten in die Eheverhältnisse.“ (Herzer, 2006, S. 15) 

Auf dem Konzil von Trient (1545 – 1563) wurden während der dritten Sitzungsperiode
(1562 -1563) zwölf Kanones über das Sakrament der Ehe verabschiedet, um die katholische Ehelehre gegen die Reformatoren zu positionieren.
Im Kanon 1 wurde an der Ehe als von Christus eingesetztem Sakrament festgehalten, woraus sich ableitet, dass die alleinige Rechtszuständigkeit für Eheschließung und Ehelösung bei der katholischen Kirche liegt. Gegen Luther, der nur Ehehindernisse zulassen wollte, die in der Schrift belegt sind (Blutsverwandtschaft im zweiten Grad, Verschwägerung ersten Grades, sexuelle Impotenz und Missachtung der Form der Eheschließung), wurde in Kanon 3 ein darüber hinausgehendes Recht des Papstes festgeschrieben, mittels päpstlicher Dispens Ehen zuzulassen oder zu annulieren.
Kanon 7 sei im Wortlaut wiedergegeben: „Wer sagt, die Kirche irre, wenn sie lehrte und lehrt, gemäß der Lehre des Evangeliums und des Apostels könne das Band der Ehe wegen Ehebruchs eines der beiden Gatten nicht aufgelöst werden, und keiner von beiden, nicht einmal der unschuldige, der keinen Anlaß zum Ehebruch gegeben hat, könne, solange der andere Gatte lebt, eine andere Ehe schließen, und derjenige, der eine Ehebrecherin entläßt und eine andere heiratet, und diejenige, die einen Ehebrecher entläßt und einen anderen heiratet, begingen Ehebruch: der sei mit dem Anathema belegt."
(DS 1807)
Die umständlich klingende Formulierung ist ein bewusster juristischer Winkelzug, um sich zum einen nicht gegen die Lehren gemäßigter früher Kirchenväter und Synoden zu stellen und zum anderen die bestehende Praxis der Ostkirchen nicht zu desavouieren. Der Verurteilung anheim gegeben werden soll die reformatorische Bestreitung der kirchlichen Lehr- und Gesetzgebungsvollmacht. (vgl.  Jorissen, S. 7f.)


Die kirchenrechtliche Perspektive


Der 2011 verstorbene Kirchenrechtler Matthäus Kaiser berichtet in einem Aufsatz von 1995, dass er nicht selten nach einem Vortrag, in dem er beiläufig die Möglichkeit kirchlicher Auflösung von Ehen erwähnt hat, in der anschließenden Diskussion von aufmerksamen Diskussionsteilnehmern belehrt wurde, dass es nach kirchenamtlicher Lehre die Auflösung von Ehen nicht gibt. Diese Auffassung des Publikums ist lehramtlich durchaus gedeckt. So erklärte Papst Johannes Paul II. am 21.01.2000 bei seiner Ansprache an die Rota (zweithöchstes Gericht der römisch-katholischen Weltkirche): Es ist „notwendig, erneut zu bekräftigen, dass die gültige und vollzogene sakramentale Ehe nie aufgelöst werden kann, nicht einmal durch die Vollmacht des römischen Pontifex.“ (Absatz 6)
1. Gültigkeit: Es liegen keine trennenden Ehehindernisse vor bzw. es wurde keine Dispens von ihnen erteilt. Es bestehen keine Ungültigkeitsgründe. Die verpflichtende Eheschließungsform wurde eingehalten.
2. Vollzug: Es hat ein zeugungsoffener Koitus stattgefunden.
3. Sakramentalität: Als sakramental gelten alle Ehen (auch die zivilrechtlichen), die Getaufte miteinander eingehen.

Die päpstliche Aussage gibt das wieder, was der Kanon 1141 des Kodex des kanonischen Rechts CIC von 1983 bestimmt: „Die gültige und vollzogene Ehe kann durch keine menschliche Gewalt und aus keinem Grunde, außer durch den Tod, aufgelöst werden.“
Während dieses Gesetz die Unauflöslichkeit der Ehe an die Bedingungen der Gültigkeit und des Vollzugs knüpft, bezieht sich der Kanon 1056 uneingeschränkt auf alle Ehen, auch die sogenannten Naturehen (sc. die nicht-christlichen Ehen): „Die Wesenseigenschaften der Ehe sind die Einheit und die Unauflöslichkeit, die in der christlichen Ehe im Hinblick auf das Sakrament eine besondere Festigkeit erlangen.“ Ganz so kategorisch kann das nicht gemeint sein, denn im CIC finden sich unter der Überschrift „Auflösung des Ehebandes“ zehn Kanones (1141-1150).
Wenn die Unauflöslichkeit eine Wesenseigenschaft der Ehe ist  - d.h. sie kommt ihr von Natur aus zu -, kann es eine Auflösung von Ehen nicht geben. Wenn die Kirche aber von Anfang an in bestimmten Fällen der Auflösung von Ehen zugestimmt hat, kann die Unauflöslichkeit keine Wesenseigenschaft der Ehe sein. Wie lässt sich dieser Widerspruch auflösen?

Doch zunächst möchte ich mich dem kirchenrechtlichen Verständnis von Ehe zuwenden. Bis zum II. Vatikanum war die katholische Ehe an erster Stelle ein Vertrag. Gegenstand des Vertrages, über den durch den Ehekonsens eine Einigung der Vertragspartner zu erfolgen hatte, war, „das Recht auf den Leib … in Hinordnung auf Akte, die von sich aus zur Zeugung von Nachkommenschaft geeignet sind.“ (CIC 1917, can. 1081 §2) Als Zweck der Vereinbarung benennt der Kanon 1013 primär „die Erzeugung und Erziehung der Nachkommenschaft“ und sekundär „die gegenseitige Hilfe und die Heilung des Begehrens.“

Während die Ehe bis 1983 als Vertrag definiert war, bei der sich Mann und Frau gegenseitig das Recht auf den Leib (ius in corporis) übertrugen, formulierte das Zweite Vatikanische Konzil in der Pastoralkonstitution "Gaudium et spes" ein neues Eheverständnis: "Die innige Gemeinschaft des Lebens und der Liebe in der Ehe ... wird durch den Ehebund, d.h. durch ein unwiderrufliches personales Einverständnis, gestiftet. So entsteht durch den personal freien Akt, in dem sich die Eheleute gegenseitig schenken und annehmen, eine nach göttlicher Ordnung feste Institution." (GS, Nr. 48) Der Wandel des Eheverständnisses von der "Ehe als Vertrag" hin zur "Ehe als Bund" hätte sich in deutlichen Änderungen des neuen Kirchenrechtes (CIC 1983) niederschlagen müssen, der Gesetzgeber entschied sich aber zu einem harmonisierenden "sowohl - als auch" (vgl. Kaiser, 1989, S. 283). Im ersten Kanon dieses neu gefassten Eherechts (can. 1055) spricht der Kodex in §1 von Ehebund und in §2 von Ehevertrag:
§1 Der Ehebund, durch den Mann und Frau unter sich die Gemeinschaft des ganzen Lebens begründen, welche durch ihre natürliche Eigenart auf das Wohl der Ehegatten und auf die Zeugung und die Erziehung von Nachkommenschaft hingeordnet ist, wurde zwischen Getauften von Christus dem Herrn zur Würde eines Sakramentes erhoben.
§2  Deshalb kann es zwischen Getauften keinen gültigen Ehevertrag geben, ohne dass er zugleich Sakrament ist.

Ich komme auf meine Ausgangsfrage zurück: Wie kann es sein, dass jede Ehe als unauflöslich gilt und dennoch bestimmte Ehen aufgelöst werden? "Spätestens seit dem 12. Jahrhundert gilt ... in der katholischen Kirche, dass nicht einfachhin jede Ehe unauflöslich ist, auch nicht jede sakramentale Ehe und auch nicht jede geschlechtlich vollzogene Ehe, sondern nur jene Ehe, die sowohl sakramental als auch geschlechtlich vollzogen ist." (Dehmel, 2014, S. 304)
In zwei Fällen also kann die Ehe aufgelöst werden: 
1. "Eine nichtvollzogene Ehe kann vom Papst in einem Gnadenakt (Dispens) aufgelöst werden. Voraussetzung dafür ist, dass in einem besonderen Verfahren bewiesen worden ist, dass die Ehe nicht vollzogen ist."
2. "Eine nichtsakramentale Ehe von zwei Ungetauften kann aufgelöst werden, wenn einer der beiden sich taufen lässt und der Ungetaufte sich von ihm trennt." Das geht zurück auf das oben besprochene Pauluswort aus dem ersten Korintherbrief.
Hinzu kommt ein dritter Fall, der außerhalb des CIC geregelt ist. Es "kann auch eine Ehe
zwischen zwei Ungetauften ohne anschließender Taufe einer der beiden oder zwischen einem Getauften und einem Ungetauften dann aufgelöst werden, wenn es dem Seelen-beziehungsweise Glaubensheil einer dritten, nämlich katholisch getauften Person dient, die einen der Ehepartner heiraten möchte. Diese Ehescheidung erfolgt durch den Papst kraft eines päpstlichen Gnadenaktes (so genanntes petrinisches Privileg)."

Das geltende Kirchenrecht hat eine seltsame Stufung der Unauflöslichkeit zur Folge:  "Prinzipiell ist jede Ehe unauflöslich; doch wenn die unauflösliche Ehe geschlechtlich vollzogen oder wenn sie sakramental ist, dann ist sie unauflöslicher als unauflöslich. Ist die unauflösliche Ehe geschlechtlich vollzogen und sakramental, dann ist sie schließlich am unauflöslichsten." (Dehmel, 2014, S. 304f.)

Die hier als Unauflöslichste charakterisierte Ehe hat ihren Status nicht wegen eines naturrechtlichen oder theologischen Grundes, sondern allein, weil es der kirchliche Gesetzgeber so verfügt hat. Logisch gibt es nur zwei Möglichkeiten, die Widersprüchlichkeit der katholischen Ehekonzeption aufzulösen. "Entweder ist die Unauflöslichkeit eine Wesenseigenschaft der Ehe – dann muss aber das, was als 'Auflösung' der Ehe bezeichnet  wird, faktisch die Zulassung zu einer zweiten Ehe sein. Das ist rechtlich nur so denkbar, dass in den genannten Fällen die Rechtswirkungen der ersten Ehe (nicht: die erste Ehe selbst) aufgehoben werden, und zwar mittels des Rechtsinstituts der Dispens (Befreiung von einer Verpflichtungskraft eines Gesetzes für spezifische Einzelfälle). Oder die Unauflöslichkeit ist keine Wesenseigenschaft der Ehe – dann sind von der Kirche Kriterien für die Auflösbarkeit von Ehen festzulegen und im Laufe der Zeit immer wieder neu an die Zeichen der Zeit anzupassen."

Es ist an der Kirche, repräsentiert durch den Papst als dem obersten Gesetzgeber, ihre
Rechtsvollmacht über die Ehe ausüben. Nach katholischer Lehre sind die Sakramente "Handlungen Christi und der Kirche" (can. 840 CIC) "Da die Sakramente für die ganze Kirche dieselben sind und zu dem von Gott anvertrauten Gut gehören, hat allein die höchste kirchliche Autorität zu beurteilen oder festzulegen, was zu ihrer Gültigkeit erforderlich ist." (can. 841 CIC) Von der dargestellten Ausgangslage aus unterbreitet Sabine Dehmel einen Reformvorschlag. "Der Grundsatz von der Unauflöslichkeit der Ehe und die Überzeugung von der Rechtsvollmacht der Kirche über die Ehe, sollten so miteinander verbunden werden, dass künftig bei jeder Ehe  ... unter bestimmten Voraussetzungen die Rechtswirkungen der Eheschließung aufgehoben und eine zweite Eheschließung gewährt werden können." (Dehmel, 2014, S. 306) Unter welchen Bedingungen das geschehen könnte, dazu gibt es unter anderen Vorschläge von Kardinal Kasper. Bei Sabine Dehmels Konzept sind folgende Zusammenhänge entscheidend: 
"Nicht die erste Ehe wird aufgehoben, sondern 'nur' die Rechtswirkungen der ersten Ehe werden beendet. Die entscheidende theologisch-rechtliche Grundlage dafür ist die Unterscheidung zwischen der Unauflöslichkeit der (konkreten) Ehe einerseits und der Aufhebbarkeit der rechtlichen Wirkungen der unauflöslichen Ehe andererseits. Die Unauflöslichkeit ist die innere Folge des einander ausgetauschten Ehekonsenses und daher sowohl für die Gatten wie auch für die Kirche unverfügbar, während die Rechtswirkungen der unauflöslichen Ehe für das Ehepaar durch die Kirche aufgehoben werden können. Deshalb bleibt bei der Aufhebung der Rechtswirkungen der Ehe die Beziehungsgeschichte beziehungsweise die bei der Eheschließung eingegangene Bindung der beiden Partner bestehen." (Dehmel, 2014, S. 306)

Abschließend will ich noch auf die Zulassung zur Eucharistie als dem praxisrelevantesten Thema im Kontext "Wiederverheiratet Geschiedene" eingehen. Der Kirchenrechtler Knut Walf empfiehlt, „sich bei der Suche nach einer kirchenrechtlichen Lösung insbesondere mit den einschlägigen Bestimmungen des Kirchenrechts über die Eucharistie zu befassen.“ (Walf, 1984, S. 129) Im Kanon 912, CIC 1983, findet sich folgende Bestimmung: „Jeder Getaufte, der rechtlich nicht daran gehindert ist, kann und muss zur heiligen Kommunion zugelassen werden.“

Das Kirchenrecht von 1917 kannte im Zusammenhang mit einer Zweitehe noch Straftatbestände. Wer ehelich gebunden war und zivil erneut heiratete, machte sich des Tatbestandes der Doppelehe (Bigamie) schuldig. Außerdem gab es den Tatbestand des qualifizierten Ehebruches mit versuchter Eheschließung. Im neuen Kodex von 1983 finden sich im Zusammenhang mit einer Zweitehe keine strafrechtlichen Bestimmungen mehr. Dem Kanon 912 steht allerdings der Kanon 916 gegenüber: „Wer sich einer schweren Sünde bewußt ist, darf ohne vorherige sakramentale Beichte die Messe nicht feiern und nicht den Leib des Herrn empfangen, außer es liegt ein schwerwiegender Grund vor und es besteht keine Gelegenheit zur Beichte.“ 
Die Beichte kommt bei einer ernsthaften Zweitehe nicht in Frage, da dies voraussetzen würde, dass die „sündhafte“ Lebenspartnerschaft bendet wird. Also ist zu prüfen, ob sich schwerwiegende Gründe für eine Kommunionzulassung anführen ließen. Mir fällt dazu ein, dass das oberste Gebot des Kirchenrechtes besagt, dass dieses dem Heil der Seelen zu dienen hat (salus animarum suprema lex). Es muss bezweifelt werden, ob es im Sinne des Seelenheils der Betroffenen sein kann, wenn die wiederverheirateten Geschiedenen unterschiedslos von der Kommunion ausgeschlossen werden. Denn – um nur zwei Fälle zu nennen – wer vom Ehepartner verlassen wurde, ohne die Chance gehabt zu haben, um den Erhalt der Ehe zu kämpfen, und wer es erst über eine zweite Ehe geschafft hat, zu einer Lebensführung zu kommen, die er vor sich und Gott rechtfertigen kann, der beklagt es zurecht als Seelenschädigend, wenn er von der katholischen Kirche stigmatisiert und zu einem Christen zweiter Klasse gemacht wird.




Quellen



Ambrosius

Augustinus

Basilius 1

Basilius 2

Dehmel 2014: (K)ein Widerspruch? Unauflöslichkeit der Ehe und Zulassung zu einer Zweitehe

DH Denzinger, Heinrich: Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen, Hg. Peter Hünermann. Freiburg 2010

Drewermann, Eugen: Das Markusevangelium.Zweiter Teil. Mk 9,14 bis 16,20.Walter: 4.Auflage 1991

Drewermann, Eugen: Psychoanalyse und Moraltheologie. Band 2: Wege und Umwege der Liebe. 9. Auflage 1992

GS Gaudium et spes

Gommenginger 1969: Unauflöslichkeit der Ehe in Schrift und Tradition.

Herzer 2006: Ehescheidung als sozialer Prozess.

Johannes Paul II.: Ansprache an die römische Rota. 21.01.2000

Jorissen 2011: Verheiratet - geschieden - abgewiesen?

Kaiser, Matthäus: Kirchliches Eherecht im Lichte kirchlicher Ehelehre. In: Theologie und Glaube 79 (1989) 268 - 300

Kaiser 1993: Warum dürfen wiederverheiratet Geschiedene (nicht) zu den Sakramenten zugelassen werden?

Kaiser 1995: Können Ehen aufgelöst werden?

Kasper 2014

Müller, Gerhard Ludwig Kardinal: Zur Unauflöslichkeit der Ehe und der Debatte um die zivil Wiederverheirateten und die Sakramente. 23.10.2013

Reck 1999: Ehe – Norm christlichen Lebens?

Tertullian 1

Tertullian 2

Walf, Knut: Kirchenrecht. Düsseldorf: Patmos 1984




























1 Kommentar:

  1. Herzlichen Dank für diese umfassende Erörterung. Ich persönlich beschreibe die EHE gerne so . Da gibt es am Anfang des einen ENGEL der Dich in Sehnsucht zieht und führt und am ende gibt es gibt es einen ENGEL der Dir sagt: ICH LIEBE DICH und Du hörst es dich selber sagen und weißt nicht mehr Wer Du bist.
    Ein engel, ein mensch oder der es dir sagte.
    Und da gibt es noch einen ENGEL, der Dir ein Schwert durchs Herz jagt, so schmerzhafrüh und tödlich wie die Wahrheit eben ist.
    Aber wenn Du das überlebt hast zählst Du zu denen die wissen, dass sie verheiratet sind.
    Mit wem, das muss dreifaltigkeit sein Ob du es einen Menschen nennst oder einen engel auch wenn du gar keinen Menschen erkennen kannst
    Wie maria und Josef bist du in der EHE eins.
    Du solltest aber nicht meinen dass da die Ehelosigkeit nicht dasselbe ist.
    Clemens Ruiz

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