Teil 2: Der Eucharistieempfang ist möglich, und die kirchenrechtliche Anerkennung einer neuen Ehe kann möglich gemacht werden
Einleitung
Als ich im November 2014 den
Teil 1 dieses Blogthemas schrieb, ging ich noch davon aus, dass das Zusammenleben in
einer Zweitehe kirchlicherseits automatisch als schwere Sündhaftigkeit
eingestuft ist. So heißt es im Katechismus der katholischen Kirche: „Falls Geschiedene zivil wiederverheiratet
sind, befinden sie sich in einer Situation, die dem Gesetze Gottes objektiv
widerspricht. Darum dürfen sie, solange diese Situation andauert, nicht die
Kommunion empfangen.“ (KKK 1650) Inzwischen habe ich bei genauerer Lektüre
des 2011 verstorbenen Kirchenrechtlers Matthäus Kaiser gelernt, dass die
Bewertung von Verhalten und Status wiederverheiratet Geschiedener
unterschiedlich ausfällt, je nachdem, ob man die im Codex Iuris Canonici von
1917 verankerte herkömmliche Lehre oder das II. Vatikanum als Maßstab nimmt.
Nach traditionellem Eheverständnis
ist die Ehe ihrem Wesen nach ein Vertrag, bei dem sich die Ehepartner
wechselseitig das lebenslange und ausschließliche Recht auf den Körper - sprich
die geschlechtliche Vereinigung - übertragen, unabhängig von Bestehen oder Qualität
einer personalen Beziehung. Deshalb haben geschiedene Gatten wegen des
fortbestehenden vertraglichen Rechtsverhältnisses weiterhin das Recht zur
geschlechtlichen Vereinigung, das auch nicht auf jemand anderen übertragen
werden kann. Wer daher in einer neuen Ehe in einer sexuellen Beziehung lebt,
bricht die als abstraktes Rechtsverhältnis weiterbestehende frühere Ehe. Ehebruch
aber ist schwere Sünde und schließt von den Sakramenten aus.
Aus dem neuen Eheverständnis
des II. Vatikanischen Konzils ergeben sich andere Konsequenzen. Die Ehe kommt
nicht allein durch den Konsens der Gatten zustande, sondern diese werden auch
von Gott zu einer Einheit miteinander verbunden. Von den beiden Komponenten
kann der Konsens von einem oder beiden Partnern zurückgenommen werden. Das kann
zum Zerbrechen der Ehe führen, was durch die Scheidung dokumentiert würde. Wenn
aber zwischen Frau und Mann keine personale Beziehung mehr besteht, haben diese
auch nicht mehr das Recht auf eine sexuelle Beziehung, da diese ja Ausdruck der
personalen Einheit ist. Eine Zweitehe muss dann auch nicht als aktueller
Ehebruch gewertet werden.
Die für den Eucharistieempfang
relevante Bewertung von Verhalten und Status wiederverheirateter Geschiedener
ist seit Jahrzehnten innerkirchlich umstritten. Interessanterweise lässt sich
das Gegeneinander der Positionen sogar an einer einzigen Person festmachen, die
sich wie keine zweite in der Katholischen Kirche auskennt: Joseph Ratzinger
bzw. Benedikt XVI.. Während der Theologieprofessor 1972 noch eine liberale
Linie vertrat, spricht der Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Joseph
Ratzinger, 1998 ein striktes Verbot des Kommunionempfangs aus. Dieses mündet
zwei Jahre später in die Weisung, dass ein Kommunionspender demjenigen die heilige
Kommunion verweigern muss, dessen Unwürdigkeit öffentlich bekannt ist. Der Seelsorger Papst Benedikt reicht dann im Jahr
2012 Horst Seehofer – dessen Lebenswandel öffentlich bekannt ist – die Eucharistie.
Einer Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zur Kommunion steht nichts im Weg
Wie widersprüchlich die
Gemengelage ist, wenn es um die Teilnahme wiederverheiratet Geschiedener an der
Kommunion geht, lässt sich am Beispiel eines herausragenden Repräsentanten des
zeitgenössischen Katholizismus, Joseph Ratzinger, aufzeigen. Als in Regensburg lehrender
Theologieprofessor schrieb er im Jahr 1972:
„Wo eine erste Ehe seit
langem und in einer für beide Seiten irreparablen Weise zerbrochen ist; wo
umgekehrt eine hernach eingegangene zweite Ehe sich über einen längeren
Zeitraum hin als eine sittliche Realität bewährt hat …, da sollte auf einem
außergerichtlichen Weg auf das Zeugnis des Pfarrers und von Gemeindemitglieder
hin die Zulassung der in einer solchen zweiten Ehe Lebenden zur Kommunion
gewährt werden.“ (Ratzinger, in: Henrich/Eid (Hg.), 1972, S. 35 - 56)
Dieser realitätsnahen Pragmatik widerspricht Kardinal Ratzinger 1998 als Präfekt der Glaubenskongregation diametral: „Wenn die vorausgehende Ehe von wiederverheirateten geschiedenen Gläubigen gültig war, kann ihre neue Verbindung unter keinen Umständen als rechtmäßig betrachtet werden, daher ist ein Sakramentenempfang aus inneren Gründen nicht möglich. Das Gewissen des einzelnen ist ausnahmslos an diese Norm gebunden.“ (Neuveröffentlichung in: L'Osservatore Romano, 30.11.2011) Zwei Jahre später wird diese Positon durch eine, mit der Kongregation für die Glaubenslehre – in personam Joseph Ratzinger - abgestimmten Erklärung des ‚Päpstlichen Rates für die Interpretation von Gesetzestexten’ bekräftigt:
Es ist ein „objektiver Schaden für die kirchliche Gemeinschaft, wenn jemand, der öffentlich als unwürdig bekannt ist, den Leib des Herrn empfängt; es ist ein Verhalten, das die Rechte der Kirche und aller Gläubigen verletzt, in konsequenter Weise den Ansprüchen dieser Gemeinschaft entsprechend zu leben. Im konkreten Fall der Zulassung der geschiedenen und wiederverheirateten Gläubigen zur hl. Kommunion betrifft das Ärgernis - verstanden als ein Handeln, das die andern zum Schlechten bewegt - zugleich das Sakrament der Eucharistie und die Unauflöslichkeit der Ehe.“ Diesem Postulat wird eine klare Handlungsanweisung für die Seelsorger hinzugefügt:
Wenn es „zu Situationen kommt, in denen … Vorsichtsmaßnahmen … nicht möglich waren, muss der Kommunionspender die hl. Kommunion demjenigen verweigern, dessen Unwürdigkeit öffentlich bekannt ist.“ (Erklärung des päpstlichen Rates für Gesetzestexte, 24.06.2000)
Im Jahr 2012 geriet Joseph Ratzinger als Papst Benedikt XVI. in eine Situation, in der die unter seiner Regie konkretisierten kirchenrechtlichen Bestimmungen hinsichtlich wiederverheiratet Geschiedener Anwendung hätten finden müssen. Anlässlich des 85. Geburtstages Benedikts war aus seiner bayerischen Heimat eine Delegation angereist, die vom Ministerpräsidenten Horst Seehofer angeführt wurde. Von Seehofer ist unter anderem bekannt, dass dieser in zweiter Ehe lebt. Dennoch reichte Papst Benedikt dem CSU-Spitzenpolitiker die heilige Kommunion.
Als Kardinal Rainer Maria Woelki im Juli 2012 im Verlauf eines Interviews mit der Wochenzeitung DIE ZEIT auf das geschilderte päpstliche Handeln angesprochen wird, antwortet dieser kirchenrechtlich fundiert: „Als Priester muss ich bei jedem, der von mir die Eucharistie erbittet, davon ausgehen, dass er dies mit reinem Herzen tut.“ (ZEIT ONLINE)
Das ist allerdings alles andere als
selbstverständlich, denn es gilt nach wie vor der Kanon 915 CIC: „Zur
heiligen Kommunion dürfen diejenigen nicht zugelassen werden …, die hartnäckig
in einer offenkundigen schweren Sünde verharren.“ Es hängt also alles an der
Frage, ob es statthaft ist, wiederverheiratet Geschiedene unterschiedslos mit
dem Verdikt zu belegen, dass
deren Lebensstand und Lebensverhältnisse „in objektivem Widerspruch zu jenem Bund der Liebe
zwischen Christus und der Kirche (stehen), den die Eucharistie sichtbar und
gegenwärtig macht.“ (Papst Johannes Paul II.,
Apostolisches Schreiben Familiaris consortio, 1981)
Der Kirchenrechtler Klaus
Lüdecke bringt auf den Punkt, worin die „Sünde“ des wiederverheiratet
Geschiedenen besteht. Dem
Apostolischen Schreiben Familiaris consortio ließe „sich entnehmen, dass nicht das Verlassen der
Lebensgemeinschaft mit dem rechtmäßigen Ehegatten der Unauflöslichkeit
widerspricht und einem Kommunionempfang im Wege steht, auch nicht das Leben in
der häuslichen Gemeinschaft mit einem anderen Partner. Das Zeichen der
Bundestreue Christi wird nicht durch Scheidung verletzt, nicht durch eine neue
Lebenspartnerschaft, sondern allein durch den sexuellen Vollzug dieser neuen
Gemeinschaft. Wer sich der Akte enthält, ‚die Eheleuten vorbehalten sind’, wird
das Bußsakrament und die Kommunion empfangen können.“ (Lüdicke, in: Herder
Korrespondenz, Heft 7, 2012)
Wenn sich Papst Johannes Paul II. in dem Apostolischen Schreiben Familiaris consortio darauf festlegt, dass standesamtlich Wiederverheiratete, die eine sexuelle Beziehung miteinander haben, eine Todsünde begehen, dann ist es in sich konsequent, wenn er dekretiert, dass „wiederverheiratete Geschiedene nicht zum eucharistischen Mahl zuzulassen (sind).“ An dieser Stelle ist zu fragen, worin der Unterschied zwischen einer lässlichen und einer schweren Sünde (Todsünde) besteht. Im nachsynodalen Schreiben Reconciliatio et paenitentia von 1984 zitiert Papst Johannes Paul II. zunächst Thomas von Aquin: „Wenn die Seele durch die Sünde eine Unordnung schafft, die bis zum Bruch mit dem letzten Ziel - Gott - geht, an das er durch die Liebe gebunden ist, dann ist dies eine Todsünde; wann immer jedoch die Unordnung unterhalb der Trennung von Gott bleibt, ist es eine lässliche Sünde.“ (Thomas von Aquin, Summa Theologiae, IIa-IIae, q. 14, a. 3, ad primum) Weiter unten resümiert dann der Papst: “Mit der ganzen Tradition der Kirche nennen wir denjenigen Akt eine Todsünde, durch den ein Mensch bewußt und frei Gott und sein Gesetz sowie den Bund der Liebe, den dieser ihm anbietet, zurückweist, indem er es vorzieht, sich sich selbst zuzuwenden oder irgendeiner geschaffenen und endlichen Wirklichkeit, irgendeiner Sache, die im Widerspruch zum göttlichen Willen steht.“ (Nr. 17) Während es bei Thomas von Aquin um das innere Verhältnis eines Menschen zu Gott geht, formuliert Johannes Paul II. so, dass eine äußere „unordentliche“ Konstellation einer Verurteilung anheimfallen kann.
Klaus Lüdicke bezeichnet es
zurecht als absurd, wenn die Sexualität „zwischen zwei Menschen, die nicht kirchlich
verheiratet sind … offenbar als Absage an Gott verstanden (wird). … Wer in
zweiter Ehe verheiratet ist, lebt doch diese Partnerschaft nicht als Absage an
Gott! Deshalb hat niemand das Recht, diese Menschen auszuladen, die Jesus
eingeladen hat. Die Verantwortung dafür, ob sie sich für der Kommunion würdig
halten, haben nur die betroffenen Gläubigen selbst. Nicht der Priester, nicht
der Bischof.“ (Lüdecke, in: Christ und
Welt, Ausgabe 28/2012) Entscheidend ist an dieser Beurteilung, dass
wiederverheiratete Gläubige nicht auf die Brosamen paternalistischer Barmherzigkeit
angewiesen sind, sondern dass laut Kanon 912 CIC gilt: „Jeder Getaufte, der rechtlich nicht daran
gehindert ist, kann und muss zur heiligen Kommunion zugelassen werden.“ Zurückgewiesen
werden dürfte nur derjenige, von dem der Kommunionspender unbezweifelbar
sicher wüsste, dass dieser „hartnäckig
in einer offenkundigen schweren Sünde (verharrt).“ (can.
915 CIC) Aber welcher Kommunionspender würde sich anmaßen, dies von außen zu
beurteilen. Festzuhalten ist, dass der Maßstab eines würdigen Kommunionempfangs
letztlich ein innerer ist, so wie es Paulus in seinem Brief an
die Korinther zum Ausdruck gebracht hat: „Denn sooft ihr von diesem Brot esst und aus dem Kelch trinkt,
verkündet ihr den Tod des Herrn, bis er kommt. Wer also unwürdig von dem Brot
isst und aus dem Kelch des Herrn trinkt, macht sich schuldig am Leib und am
Blut des Herrn. Jeder soll sich selbst prüfen; erst dann soll er von dem Brot
essen und aus dem Kelch trinken.“ (1 Kor 11.27f.) Insofern ist Lüdecke
zuzustimmen, dass der nicht wissen könnende Kommunionspender verpflichtet ist,
die Kommunion zu reichen, „nicht nicht
aus Barmherzigkeit, sondern in Erfüllung des ihm anvertrauten Dienstes.“ (Lüdicke,
in: Herder Korrespondenz, Heft 7, 2012)
Papst Benedikt bestätigte diese Auffassung durch sein pastorales Handeln an seinem 85. Geburtstag.
Thomas Rusters Vorschlag zur Reintegration der wiederverheiratet Geschiedenen in die katholische Kirche
Der
Professor für Systematische Theologie und Dogmatik an der Technischen
Universität Dortmund, Thomas Ruster, hat zusammen mit seiner Frau, der Ehe- und Familienberaterin Heidi Ruster, ein Buch
vorgelegt (Ruster/ Ruster, 2013), dem Karl Kardinal Lehmann ein Geleitwort mit
auf den Weg gegeben hat. Der Mainzer Bischof schreibt: „Es ist der Vorzug dieser Veröffentlichung, dass die Autoren sich …
nicht scheuen, heiße Eisen unmittelbar anzufassen.“ (S. 10) Und wohl um dem
Autor etwas Rückendeckung zu geben, äußert er auch, dass sich dieser als „verlässlicher und kirchlich loyaler Theologe
erwiesen (hat), der sich zugleich den heute aufkommenden Herausforderungen in kreativer Weise stellt.“ (S. 7)
Ich
kann bestätigen, dass sich Thomas Ruster etwas traut, dass er einen
verflochtenen Problemzusammenhang durchdacht und sich eine markante Position erarbeitet
hat und wünsche mir, dass er einen innerkirchlichen Diskurs auslöst.
Analyse
Die katholische Morallehre baut auf dem sogenannten Naturrecht auf, das Gott den Menschen ins Herz geschrieben hat, und das alle Menschen und Kulturen verbindet.
Wenn die Kirche mit diesen
Postulaten setzt, dass es legitime
Sexualität nur innerhalb einer gültigen Ehe gibt und dass „liebende Vereinigung und
Fortpflanzung“ (Humanae Vitae, Nr. 12) nicht gesondert werden dürfen, so macht
sie sich von ihrem Anspruch her „nur zum
Anwalt des Natürlichen, also dessen, was die Menschen eigentlich und wirklich
wollen und nur zu ihrem Schaden übersehen und übertreten.“ (Ruster/Ruster
2013, S. 24) Dieses Fundament kirchlicher Ehelehre und des Kirchenrechts stellt
das Ehepaar Ruster grundsätzlich in Frage, indem es folgende These aufstellt: „Die
von der Theologie stets vorausgesetzte natürliche Ordnung der Ehe ist heute
nicht mehr in Kraft.“ (S. 27)
Zunächst kann gefragt
werden, ob die Behauptung einer von Anfang an bestehenden Ordnung des
Familienlebens überhaupt biblisch gedeckt ist. Handelt es sich dabei wirklich
um den Plan Gottes, wenn bereits das Volk Israel nach anderen Maßgaben gelebt
hat? „Die Ehen … der Patriarchen waren
polygam, ebenso wie die Davids und Salomos und anderer biblischer
Persönlichkeiten.“ (Ruster, in: Garhammer/Weber, 2012, S. 159)
Nach der katholischen
Morallehre lassen sich alle Menschen, die ihre Sexualität leben, in zwei
Kategorien einteilen: Jene, die normgerecht in einer gültigen Ehe leben, und
jene, die sich sündhaft unzüchtig verhalten und zum Teil in einer
„unordentlichen“ Beziehung leben. Pius XI. beklagte bereits 1930 in seiner
Enzyklika Casti connubiii, dass manche darauf verfallen seien, sich „neue Arten von Verbindungen auszudenken,
die, wie sie meinen, den gegenwärtigen Verhältnissen der Menschen und Zeiten
angemessen seien, und von denen sie behaupten, sie seien ebensoviele neue
Formen der Ehe: die eine auf Zeit, die andere auf Probe, wieder eine andere eine Freundschafts(ehe).“ (DH 3715) Heutzutage muss sich niemand mehr etwas
ausdenken, denn die ehebasierte monolithische Vater-Mutter-Kind-Familie hat sich zu einer
Pluralität von Beziehungsformen aufgefächert. Kann man daraus kirchlicherseits
wirklich den Schluss ziehen, dass Frevelhaftigkeit und Versagen in den letzten
Jahrzehnten permanent zugenommen haben, oder ist nicht vielmehr das Lehramt
aufgefordert, die bisher valide Ehelehre
kritisch in Frage zu stellen?
Rusters Ausgangsthese zieht
eine weitere nach sich: Das katholische
Ehemodell des 13. Jahrhunderts ist anachronistisch. (vgl. Ruster, in:
Garhammer/Weber, 2012, S. 148) Der anglikanische Jurist und Historiker John
Witte nannte dieses Modell „das Werk
eines Genies“, denn es bündelte drei Dimensionen der Ehe, die sich fortan
wechselseitig bestärkten. Auf der philosophisch-naturrechtlichen Ebene
entsprach die Ehe der Schöpfungsordnung, auf der juristischen Ebene schlossen
die Kontrahenten – so wurden die sich das Ehesakrament spendenden Brautleute
bezeichnet – einen Vertrag und auf der theologischen Ebene wurde der Ehebund „zwischen Getauften von Christus dem Herrn
zur Würde eines Sakramentes erhoben.“ (can. 1055, CIC)
Der Dreh- und Angelpunkt
dieser Konstruktion ist die Ehe als Vertrag. „Die Ehe kommt durch den Konsens der Partner zustande, der zwischen
rechtlich dazu befähigten Personen in rechtmäßiger Weise kundgetan wird.“ (can.
1057, CIC)
Jene Verbindung, „die aus dem Konsens hervorgeht, ist sowohl
ihrer naturrechtlichen Bestimmung nach wie auch in ihrem sakramentalen
Charakter eine unauflösliche. Ihre Unauflöslichkeit ist Gegenstand des
Vertrags.“ (Ruster/Ruster 2013, S. 121)
Das katholische Ehemodell
war in Zeiten von männlicher Dominanz und Fremdbestimmtheit von Untergebenen
eine kulturhistorische Errungenschaft. Seine Kehrseite gewinnt insbesondere in
modernen Gesellschaften brennende Aktualität. „Da sich die Brautleute mit ihrem vertraglichen Konsens auf eine
lebenslange, unauflösliche Ehe geeinigt haben (und diese Einigung sowohl der
Schöpfungs- wie der Heilsordnung entspricht), kann das Scheitern einer Ehe nur
auf die Ungültigkeit des Vertrags oder aber auf das Versagen der Eheleute
zurückgeführt werden.“ (S. 122) Dem entspricht, dass es für die
sakramentale Ehe ein Scheitern, das nicht dem Versagen der Eheleute zugerechnet
werden kann, nicht gibt, und so erübrigte sich auch ein Instrumentarium, mit dem man das Scheitern als nicht-intendierter Verlaufsform einer ehelichen Beziehung
bewältigen könnte.
Vor diesem Paradigma stellt
sich die Beurteilung von Christen, die nach einer Ehescheidung erneut heiraten
wie folgt dar:
1. Sie weisen die von Gott
gegebene Gnadengabe des Sakraments zurück
2. Sie handeln gegen die
Ordnung der Schöpfung
3. Sie machen sich des
Vertragsbruchs schuldig
(Vgl. Ruster, in:
Garhammer/Weber, 2012, S. 146f.)
Im Fokus steht insbesondere
der Kanon 1055 §2 CIC, nach dem „… es zwischen Getauften keinen gültigen
Ehevertrag geben (kann), ohne dass er zugleich Sakrament ist.“ Dieses Junktim von Vertrag und Sakrament verunmöglicht eine konstruktive
theologische Lösung des Problemnexus "wiederverheiratete Geschiedene". Da es nach
Kanon 1055 keine Ehe in der Kirche geben kann, „die nicht sakramental ist, muss die zweite Ehe der getauften
Geschiedenen als der Versuch gewertet werden, wiederum eine sakramentale Ehe
einzugehen. Dies kann die Kirche allerdings in keiner Weise zulassen.“ (Ruster/Ruster
2013, S. 137)
Zu welch absurden
Konsequenzen dieses katholische Rechtsinstitut führt, sei an nur einem Beispiel
erläutert. Ein Taufschein-Katholik, der auf Distanz zur Kirche lebt, will eine
evangelische Frau heiraten. Aufgrund seiner Indifferenz hat er kein Problem
damit, sich auf Wunsch seiner Braut über die standesamtliche Heirat hinaus nach
protestantischem Ritus trauen zu lassen. Auch wenn die evangelische Kirche kein
Sakrament der Ehe kennt und der katholische Bräutigam auf dieses Sakrament
keinen Wert legt, kommt es automatisch zu einer sakramentalen Ehe. Was soll das
für ein Sakrament sein, das quasi Christus dem Herrn aufgenötigt wird?
Abgesehen von den
merkwürdigen Folgen eines fragwürdigen Sakramenten-Automatismus kommt alles
darauf an, „dass entgegen CIC can. 1055
§2 in der Kirche gültige Eheverträge geschlossen
werden können, ohne dass diese zugleich Sakrament sind.“ (S.
137) Durch eine solche Ausweitung von in der Kirche anerkannten Ehen ergäben
sich Lösungsmöglichkeiten hinsichtlich des Problemfeldes wiederverheiratet
Geschiedener.
Aufgabenstellung
Wenn es die Möglichkeit von
nichtsakramentalen gültigen Ehen gäbe, dann käme dies zum Beispiel zum Tragen,
wenn ein lediglich von der Konfessionszugehörigkeit her katholisches aber ansonsten kirchenfernes
Paar nur standesamtlich heiratet. Das Brautpaar würde dann keine sakramentale
Ehe eingehen, weil es die Kirche nicht um das Sakrament der Ehe gebeten hätte,
und die katholische Kirche würde darauf verzichten, diese Verbindung als
ungültig zu qualifizieren. Vom kirchenrechtlichen Status her würde es sich um
ein katholisches Ehepaar handeln, das in einer nichtsakramentalen Ehe lebt.
Wer aufmerksam gelesen hat,
wird sich sofort gefragt haben, wie es
sein kann, dass hier davon die Rede ist, dass ein Brautpaar die Kirche um das Sakrament der Ehe bitten könnte. Denn
nach katholischer Auffassung spenden sich die Brautleute das Sakrament der Ehe
gegenseitig. CIC can. 1057: „Die Ehe
kommt durch den Konsens der Partner zustande … Der Ehekonsens ist der
Willensakt, durch den Mann und Frau sich in einem unwiderruflichen Bund
gegenseitig schenken und annehmen, um eine Ehe zu gründen.“ Die Rolle des
Pfarrers oder Diakons, die die Trauungsliturgie durchführen, ist nur eine
„assistierende“. Zu erörtern ist, ob es dabei bleiben muss, dass im Zentrum
einer katholischen Trauung ein Rechtsakt steht. Oder ist auch eine Trauliturgie
denkbar, wo die Konsenserklärung nur die Voraussetzung wäre und im Mittelpunkt
des Geschehens „das Gebet um den Segen
Gottes und die Freude über seine Gewährung stünde.“ (Ruster, in:
Garhammer/Weber, 2012, S. 163)
Die Hauptaufgabenstellung
hinsichtlich einer reformierten Ehelehre bestünde darin, das Ehemodell des 13.
Jahrhunderts zu dekonstruieren. Es müssten also sowohl das Junktim von Vertrag
und Sakrament als auch das von Sakrament und Natur (Schöpfungsordnung)
entkoppelt werden.
1. Wenn nicht jeder
Ehevertrag zwischen Getauften das Sakrament der Ehe konstituieren würde, dann
könnte es nichtsakramentale Ehen geben, die nicht das Merkmal der
Unauflöslichkeit hätten. Hier wird bereits der Lösungsansatz für
wiederverheiratet Geschiedene erkennbar. Es wäre dann nämlich denkbar, dass das
immerwährende Eheband der ersten Ehe nicht in Frage gestellt würde, aber der Weg zu einer
nichtsakramentalen Ehe frei wäre.
2. Muss das Postulat, dass die
sakramentale Ehe mit ihren Merkmalen der Einheit und Unauflöslichkeit deckungsgleich
mit der Natur- bzw. Schöpfungsordnung ist, aufrecht erhalten werden, oder
könnte die Kirche diesen Zusammenhang relativieren und sich dazu durchringen, spezifische
Paarbeziehungen zu tolerieren, die diese Merkmale nicht aufweisen?
(vgl.
Ruster, in: Garhammer/Weber, 2012, S.
149)
Sondierung
Im Rückgang auf die Wurzeln
der heutigen Ehelehre stieß Thomas Ruster darauf, dass es in der
mittelalterlichen Theologie zwei konkurrierende Auffassungen gab, nämlich
einerseits die Position, dass Sakrament und Vertrag zu unterscheiden sind, und
andererseits die Position eines Junktims von Vertrag und Sakrament.
Für die erste Linie seien
exemplarisch die Namen Duns Scotus (1265-1308), Cajetan de Vio (1469-1534) und Melchior
Cano (1509- 1560) genannt. Die Tradition der Trennung von Ehevertrag und Ehesakrament
ist „in der Kirche niemals verurteilt
worden; sie hat nur keinen Einfluss auf die kodifizierte Gestalt des
Kirchenrechts im 20. Jahrhundert gewinnen können.“ (Ruster, in:
Garhammer/Weber, 2012, S. 151)
Für die Linie der Einheit
von Vertrag und Sakrament seien die Namen Bellarmin (1542-1621) und Suarez
(1548-1617) genannt. Kardinal Robert Bellarmin „nahm an, dass Christus den vertraglich geschlossenen Ehen durch einen
eigenen Akt die Sakramentalität hinzufügt; eine spezielle Intention der
Brautleute sei dazu nicht erforderlich.“ (S. 152) Das Theorem Bellarmins
kam den Päpsten des 19. und 20. Jahrhunderts zupass, um auch nach der
Einführung der Zivilehe – spätestens mit der Französischen Revolution – weiter
rechtszuständig zu sein. „So fand diese
Lehre dann Aufnahme in den Codex Iuris Canonici von 1917 und wurde in die
Neufassung des Codex von 1983 übernommen. Sie ist also in der Kirche gar nicht
mal so alt, und sie ist … eine rein rechtliche Festlegung, die jederzeit
geändert werden kann.“ (Ruster/Ruster 2013, S. 139) Käme es zu einer
Trennung von Vertrag und Sakrament, so hätte dies auch große ökumenische
Bedeutung. Denn innerhalb der gesamten griechisch-orthodoxen Tradition ist der
priesterliche Segen für das Ehesakrament konstitutiv.
Wie steht es um die
Entkoppelung der sakramentalen Ehe von der normativen Vorstellung von der Ehe
in ihrer „natürlichen Eigenart“? Diese sogenannte Naturehe wird „als Vater-Mutter-Kind-Familie mit den
Merkmalen der Einheit und Unauflöslichkeit … beschreiben. Nach der Lehre der
Kirche ist es diese Art von Ehe und Familie, die auf dem Willen Gottes beruht
und in der Schöpfung begründet worden ist.“ (Ruster, in: Garhammer/Weber,
2012, S. 155)
Die kirchliche
Lehrverkündigung zu Ehe und Familie ist in ihrem Kern immer gleich geblieben,
wurde aber in Reaktion auf den rapiden gesellschaftlichen Wandel von den
kirchlichen Lehrautoritäten des 20. Jahrhunderts umso nachdrücklicher geltend
gemacht. So versucht Pius XI. in der Enzyklika Casti connubii quasi in Stein zu meißeln: „Die Ehe wurde nicht von Menschen eingesetzt
oder erneuert, sondern von Gott; sie wurde nicht von Menschen, sondern vom
Urheber der Natur selbst, Gott, … durch Gesetze gefestigt, gestärkt und erhöht;
diese Gesetze können daher keinen Beschlüssen von Menschen, keiner gesetzlichen
Übereinkunft – nicht einmal der Gatten selbst – unterworfen sein.“ (DH
3701)
Zu dieser angeblich
unverrückbaren Schöpfungsordnung steht die Schöpfungswirklichkeit in
zunehmendem Kontrast. Vergleicht man im Bereich der BRD die Jahre 1958 und
2008, so kann man nicht nur feststellen, dass insgesamt weniger geheiratet
wird, sondern es fällt besonders markant ins Auge, dass der Anteil der
Trauungen an den standesamtlichen Eheschließungen von gut 80% im Jahr 1958 auf
unter 30% im Jahr 2008 zurückgegangen ist. Empirisch ist die sakramentale Ehe
ein Minderheitenphänomen. Soll nun die Kirche all die Paare und Familien, die
im Widerspruch zur naturrechtlichen Doktrin leben, verwerfen, oder sollte sich
die Kirche zu den alternativen Beziehungsformen in ein konstruktives Verhältnis
setzen? Es ist klar, dass sich die Kirche nicht an der „Normativität des
Faktischen“ orientiert, aber sie kann auch nicht mehr daran festhalten, dass
die sakramentale Ehe auf der Naturehe aufbaut, wenn in unserer Gesellschaft „die Ehe nicht mehr die natürliche und
selbstverständliche Form des Zusammenlebens (ist). … Für die katholische
Ehelehre bedeutet dies eine Revolution. Sie hat ihre Grundlagen zu revidieren.
… Die sakramentale Ehe mit ihren Eigenschaften, vor allem der Eigenschaft der
Unauflöslichkeit steht nun für sich. … Und als solche muss sie heute begründet
und erklärt werden.“ (Ruster/Ruster 2013, S. 32)
Resümee
Das Ehepaar Ruster verfolgt mit seinem Ansatz
ein zweifaches Ziel: Es möchte zum einen das Sakrament der Ehe aus dem bisher
bestehenden Sakramenten-Automatismus herauslösen und aufzeigen, worin die Gnade
dieses Sakraments besteht. Zum anderen möchte es theologisch dafür Raum
schaffen, dass wiederverheiratet Geschiedene in der Kirche anerkannt werden
können. „Es geht darum, eine Logik der
Ausgrenzung zu überwinden, die mit dem Glauben nicht zu vereinbaren ist, und dennoch
die Wahrheit des Glaubens nicht aufzugeben.“ (Ruster/Ruster 2013, S. 186)
Wie bereits dargelegt, lässt
sich das Sakrament der Ehe nicht mehr auf dem aufbauen, was traditionell als
natürliches Wesen der Ehe bezeichnet wurde. Naturehe und sakramentale Ehe
sind heutzutage de facto entkoppelt. Die sakramentale Ehe steht für sich und
muss in ihrer Eigenart ausgewiesen und begründet werden. Aus vielen Gründen
kann es „nicht dabei bleiben, dass sich
die Brautleute das Sakrament der Ehe gegenseitig spenden. Denn es ist die Kirche bzw. die Gottesdienstgemeinde, die im
Auftrag und im Namen Jesu Christi das Sakrament spendet.“ (S. 187) Der
Konsens der Eheleute wäre dann nurmehr die Voraussetzung dafür, dass das
Brautpaar das Sakrament der Ehe empfangen kann. Eine solche sakramentale
Neuausrichtung könnte über eine sakramentenrechtliche Erklärung der kirchlichen
Lehrautorität bewerkstelligt werden. Durch einen solchen Akt wäre die bislang
unvermeidliche Verknüpfung von
Ehekonsens und Ehesakrament außer Kraft gesetzt..
Auf dieser neuen Grundlage ließe sich dann der Vorschlag von Sabine Dehmel (1993) aufgreifen, dass es aus kirchenrechtlicher Sicht nichtsakramentale aber dennoch gültige Ehen geben kann. „Mit Recht argumentiert sie, dass in der religionsverschiedenen Ehe – der Ehe mit einem Angehörigen einer anderen Religion oder einem Ungläubigen – bereits eine Möglichkeit für einen Katholiken gegeben ist, in einer gültigen aber nicht sakramentalen Ehe zu leben.“ (Ruster/Ruster 2013, S. 150) Würde die Kirche nichtsakramentale Ehen zulassen, so wäre sie nicht mehr gezwungen, auf dem Standesamt geschlossene Ehen geschiedener Christen als Versuch zu werten, erneut eine sakramentale Ehe einzugehen und müsste diese nicht verurteilen. Dadurch, dass die Kirche nicht mehr rechtszuständig und somit keine normative Beurteilungsinstanz wäre, könnte sie sich auf die nichtdiskriminierende Begleitung der betroffenen Paare in der Gemeinde fokussieren. Wiederverheiratet Geschiedene müssten sich nicht mehr ausgeschlossen fühlen und wären
in die Kirche reintegriert.
Zu betonen ist, dass durch
diesen Lösungsvorschlag die kirchliche Lehre von dem unauflöslichen Eheband (vinculum matrimonale) nicht in Frage gestellt wird. „Wenn die Kirche die Ehen der Geschiedenen
akzeptiert, dann nur, indem sie
zugleich daran festhält, dass das Eheband der ersten Ehe weiter besteht und die
zweite Ehe mit der ersten Ehe nicht in Konkurrenz tritt. Eine Ehe nach der
ersten Ehe ist eine Beziehung eigener Art. … Sie kann, da sie nicht sakramental
ist, mit der ersten zugleich bestehen.“ (S. 175)
Quellen
CIC 1983 Kodex des kanonischen Rechtes
Demel, Sabine: Standesamt - Kirche - Sakrament. Die Neubewertung der Zivilehe als Versuch einer ökumenischen Annäherung. In: Stimmen der Zeit, Bd. 211. Herder: Freiburg 1993, S. 131-140
Quellen
CIC 1983 Kodex des kanonischen Rechtes
Demel, Sabine: Standesamt - Kirche - Sakrament. Die Neubewertung der Zivilehe als Versuch einer ökumenischen Annäherung. In: Stimmen der Zeit, Bd. 211. Herder: Freiburg 1993, S. 131-140
DH Denzinger, Heinrich:
Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen, Hg.
Peter Hünermann. Freiburg 2010
Henrich, Franz / Eid,
Volker (Hg.): Ehe und Ehescheidung - Diskussion unter Christen. München 1972
Paul VI.: Humanae vitae
Paul VI.: Humanae vitae
Garhammer, Erich /
Weber, Franz (Hg.): Scheidung - Wiederheirat - von der Kirche verstoßen? Für
eine Praxis der Versöhnung, Würzburg 2012
Johannes Paul II.: Familiaris consortio
Lüdecke: Das Recht ist barmherzig. In: Christ &
Welt 2012
Lüdecke: Wieso eigentlich Barmherzigkeit?, in: Herder
Korespondenz 2012
Päpstlicher Rat für Gesetzestexte: Erklärung vom
24.06.2000
Ratzinger, Joseph: Zur
Frage nach der Unauflöslichkeit der Ehe. Bemerkungen zum dogmengeschichtlichen
Befund und zu seiner gegenwärtigen Bedeutung, in: Henrich/Eid (Hg.), 1972, S.
35 - 56
Ratzinger, Joseph: Zu
einigen Einwänden gegen die kirchliche Lehre über den Kommunionempfang von
wiederverheirateten geschiedenen Gläubigen, in: L'Osservatore Romano,
30.11.2011
Ruster, Thomas:
Alleinstellungsmerkmal Sakrament. Zur Entkoppelung von Natur, Vertrag und
Sakrament. In: Garhammer/Weber (Hg.), 2012
Ruster, Thomas / Ruster,
Heidi: ... bis dass der Tod euch scheidet? Die Unauflöslichkeit der Ehe und die
wiederverheirateten Geschiedenen. Ein Lösungsvorschlag. Kösel: München 2013
ZEIT ONLINE: "Kirche der Sünder"