2011 entstand die Idee, das Schauspielhaus der Kammerspiele in der Maximilianstraße für einen Tag zur Moschee zu machen. Zwei Jahre später konnte das von dem Dramaturgen und Autor Björn Bicker geschriebene Theaterstück zur urbanen Religiosität in München an sieben heiligen Orten aufgeführt werden.
Am Anfang war eine Phantasie: „Es wäre doch toll, das
Schauspielhaus der Kammerspiele in der Maximilianstraße für einen Tag zur
Moschee zu machen.“ Das war vor zwei Jahren. Bei der Suche nach einem
zugkräftigen Namen für ein solches Projekt wurde man in Berlin fündig. Dort
hatte sich 2007 der Verein metroZones mit dem Ziel gegründet, kritische
Großstadtforschung zu betreiben. 2011 veröffentlichte das Urbanisten-Kollektiv
unter dem Titel „Urban Prayers - Neue religiöse Bewegungen in der globalen
Stadt“ einen Sammelband, der sich mit der Ausbreitung und der zunehmenden
politischen Relevanz neuer Religionsgemeinschaften in den Großstädten des
globalen Südens befasst.
Mit dem Transfer von Urban Prayers nach München wandelte
sich die globalpolitische Perspektive zu einer lokal-religionssoziologischen.
Der Dramaturg und Autor eines zu entwickelnden Theaterstücks, Björn Bicker,
wollte in Erfahrung bringen, welche Religionen in München mittlerweile ansässig
sind und mit den Gläubigen verschiedenster Provenienz in Kontakt treten. „Ich
wollte herausfinden, wie die Menschen, die aus allen Teilen der Welt hierher gekommen
sind, in München ihren Glauben leben und ihren urbanen Lebensraum wahrnehmen.
Diese Stadt, unser gemeinsames Land, unsere Demokratie.“
Die Zeit für das Anpacken dieser Thematik war eigentlich
mehr als reif. Laut dem Münchner Integrationsbericht von 2011 leben in München Menschen
aus über 180 Ländern, und diese bringen größtenteils auch eine religiöse
Identität mit. Vermutlich ist nicht jedem bekannt, dass der Anteil der
Bevölkerung mit Migrationshintergrund im Land
Berlin 2011 „nur“ bei 24,8% lag, während es in München 36% sind. Die
Veranstalter der „Langen Nacht der Religionen“ am 17. August 2013 in Berlin
postulieren auf ihrer Homepage: „Mit mehr als 250 aktiven
Religionsgemeinschaften ist Berlin europaweit die Stadt mit der größten
religiösen Vielfalt.“ Ob dem so ist, wäre zu prüfen. Die Sucheingabe „Kirchen
und Religiöse Gemeinschaften in München“ ergibt 233 Treffer bei meinestadt.de,
311 bei Gelbe Seiten und 326 Ergebnisse bei cylex.de. Der traditionsgeprägte
Blick auf Münchens religiöse Landschaft ist auf jeden Fall trügerisch. Das
Stadtbild ist wesentlich bestimmt auch von den Kirchengebäuden und suggeriert ein
„Mia san mia“ der christlichen Großkirchen. Neuerdings ist allerdings der
Anteil derjenigen, die in München der katholischen oder einer protestantischen
Kirche angehören auf unter 50% gesunken und von diesen lebt nur eine Minderheit
aktiv ihren Glauben.
Mit dieser Umbruchsituation ergibt sich ein interessanter
Berührungspunkt zwischen Migranten und praktizierenden Christen: Man ist in
einer Minderheitenposition. Während Migranten nicht selten Intoleranz und
Ablehnung erfahren, werden die Christen in unserer Gesellschaft voraussichtlich
zunehmend auf Unverständnis und Infragestellung stoßen.
Als Björn Bicker vor eineinhalb Jahren mit seinen Recherchen
und Interviews begann, überraschte ihn, wie viele Kirchen, Moscheen, Synagogen,
Tempel und Gebetsräume es in München gibt. Würde man diese mit Fähnchen auf einem
Stadtplan markieren, käme ein engmaschiges Netz religiöser Infrastruktur zum
Vorschein und man hätte den Eindruck, es wimmele in der Stadt von Gläubigen.
Wie diese Menschen leben, und woran sie glauben, das wollte Bicker in Erfahrung
bringen. Aus seinen Recherchen entstand ein Text, der vom Intendanten der
Kammerspiele, Johan Simons, inszeniert wurde. Die besondere Bedeutung des Urban Prayers Projektes liegt meines
Erachtens darin, dass das durch seinen Facettenreichtum und die subtile
Umsetzung überzeugende Theaterstück auf
Wanderschaft durch sieben Gebetsräume der Stadt geschickt wurde. Jede
Aufführung wurde den örtlichen Gegebenheiten angepasst und bot der gastgebenden
Gemeinde die Möglichkeit, sich mit eigenen Beiträgen einzuklinken. Auf diese
Weise wurden Begegnungen gestiftet - nicht nur am jeweiligen Aufführungsort,
sondern es entstanden Kontakte und Kommunikation über alle Stationen des
Projektes hinweg.
Das Urban Prayers Stück ist so aufgebaut, dass sich ein Sprechchor,
der in vielerlei Variationen einen hoch konzentrierten Text vorträgt,
abwechselt mit einem Gesangschor, der sakrale Werke stimmungsvoll zu Gehör
bringt. Ich zitiere die Eingangssequenz, die von einer Art erweiterter Kanzel
aus vom Chor der Bürger (fünf Schauspieler) eindringlich rhythmisiert in
Stakkato vorgetragen wurde und den Rahmen für die gesamte Inszenierung
aufspannt.
Was glaubt Ihr denn, wer wir
sind, was wir glauben?
Was glaubt Ihr denn, wer wir
sind?
Wo wir wohnen, wo wir
schlafen, wo wir arbeiten, wo wir beten, wo wir uns zeigen, wo wir uns
verstecken?
Was glaubt ihr denn, wo es
einen besseren Platz geben könnte? Was glaubt ihr denn, wo wir nicht stören, wo
wir stören?
Wo wir uns treffen sollten,
wo wir Euch begegnen könnten, wo wir Euch begegnen wollen, wo wir Euch nicht
begegnen wollen?
Was glaubt ihr denn, wer Ihr
seid, was glaubt Ihr denn, wer wir sind?
Einen aufschlussreichen Eindruck des Urban Prayer Projektes
vermittelt ein YouTube Video: http://www.youtube.com/watch?v=kaCK5B-OABY.
Die durchweg positiven Feedbacks der Besucher am Ende des Beitrags sind nicht
selektiv, sondern spiegeln adäquat das bemerkenswerte Ereignis.
Nach sieben Tagen an sieben heiligen Orten – Synagoge
Reichenbachstraße, Allerheiligenkirche, Mehmet Akif Moschee, Machtlfinger Höfe,
Rogatekirche, Adventgemeinde und Universitätskirche St. Ludwig - kehrte Urban
Prayers am 13.Juli ins umgestaltete Schauspielhaus zurück. Der von seiner
Bestuhlung befreite Hauptraum war mit edlen Orientteppichen ausgelegt und bot am
Samstag ein spezifisches Ambiente für Aufführung, Podiumsdiskussion und
Konzerte. Als am Sonntag nach Live-Hörspiel, Filmen, Installationen und Reden
von vierzig Gläubigen der Tag zur Neige ging, vollendete sich die Metamorphose
des Schauspielhauses zur Moschee mit einem gemeinsamen Fastenbrechen, das der Koranrezitator
Xhelal Kaloshi mit Versen aus dem Koran untermalte.