Wer Papst werden will, muss beizeiten seinen Ring in den Hut werfen. Joseph Kardinal Ratzinger tat dies, indem er am 18.04.2005 als Dekan des Kardinalskollegiums unmittelbar vor dem Konklave während der „Missa pro eligendo Romano Pontifice“ (Messe für den zu wählenden römischen Papst) eine programmatische Predigt hielt. Kardinal Jorge Mario Bergoglio machte während des Vorkonklaves ab dem 04.03.2013 durch eine kurze, aber sehr substanzielle Ansprache auf sich aufmerksam.
Meine Idee war, diese beiden für die Verläufe der Konklaven bedeutsamen Texte vergleichend nebeneinander zu stellen und auf mögliche Grundlinien der zukünftigen Pontifikate hin zu lesen. Doch während sich Bergoglio in einfacher und eindringlicher Sprache ausdrückt, spricht Ratzinger zwar gern von der Einfachheit des Glaubens, bevorzugt es aber, rhetorisch verschlungene Elaborate vorzulegen. Insofern stelle ich mir in einem ersten Schritt zunächst die Aufgabe, aus dem hochkomplexen, kunstvoll arrangierten Predigtgebilde des Kardinaldekans die Kernaussagen herauszudestillieren.
In seine Predigt während des Eröffnungsgottesdienstes des Konklaves bezieht Joseph Kardinal Ratzinger alle drei Lesungen des Tages mit ein. Aus dem ersten Text (Jesaja 61.1-9) greift er eine auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinende Stelle heraus - „er hat mich gesandt ..., damit ich ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe, einen Tag der Vergeltung unseres Gottes“ -, um von hier aus die Grundsäulen der in der Tradition verankerten katholischen Kirche vor Augen zu führen. Er beginnt beim Heiligen Vater, der ein Jahr der Barmherzigkeit angekündigt hat, wendet sich zurück zu den Urgesteinen Petrus und Paulus, um dann zu unserer Glaubensmitte, Jesus Christus, vorzustoßen. Als Schlussakt dieses Predigtabschnitts wählt Ratzinger eine signifikante Aussage aus Paulus’ Brief an die Kolosser, wo dieser seinen Dienst an der Kirche charakterisiert: „Jetzt freue ich mich in den Leiden, die ich für euch ertrage. Für den Leib Christi, die Kirche, ergänze ich in meinem irdischen Leben das, was an den Leiden Christi noch fehlt.“ (Kolosser 1.24)
Im Mittelteil der Predigt (zu Epheser 4.11-16) findet sich Joseph Ratzingers markante Positionierung, die medial um die Welt ging: „Einen klaren Glauben nach dem Credo der Kirche zu haben, wird oft als Fundamentalismus abgestempelt, wohingegen der Relativismus, ... als die heutzutage einzige zeitgemäße Haltung erscheint. Es entsteht eine Diktatur des Relativismus.“ Diese Kritik zielte insbesondere auf die innerhalb der katholischen Kirche von Theologen in den letzten Jahrzehnten entwickelten neuen oder neu akzentuierten Denk- und Glaubensansätze. „Das kleine Boot des Denkens vieler Christen ist nicht selten von diesen Wogen zum Schwanken gebracht, von einem Extrem ins andere geworfen worden.“ Der ‚Tyrannei der Beliebigkeit’ stellt der Kardinaldekan sein Leitbild des „wahren Humanismus“ gegenüber. Dessen Maß ist Jesus, der wahre Mensch. Je mehr wir uns Christus nähern, umso mehr gelingt christliche Existenz als das tun der Wahrheit in der Liebe. (vgl. Paulus, 1 Korinther 13.1)
Im dritten Teil seiner Ansprache greift Joseph Ratzinger zwei Worte des Evangeliums (Johannes 15.9-17) auf. „Ich nenne euch nicht mehr Knechte; ... vielmehr habe ich euch Freunde genannt.“ (Johannes 15.15) Hier akzentuiert der Prediger mit Lukas 17.10, „dass wir - wie es ja zutrifft - nur unnütze Knechte sind.“ Trotzdem würde der Herr uns - und damit meint er die Kleriker - seine Freundschaft schenken. „Er verleiht uns die Vollmacht, durch sein Ich zu sprechen. ... Er vertraut uns seinen Leib, die Kirche, an.“ Letztlich ist es die Wahrheit des Herrn, die zu hüten dem „schwachen Geist“ und den „schwachen Händen“ seiner Priester aufgetragen ist.
Dem Begriff der Freundschaft nähert sich Ratzinger mit Sallust: „Dasselbe wollen und dasselbe nicht wollen, das erst ist feste Freundschaft.“ Was sich bei dem römischen Geschichtsschreiber als Freundschaft auf Augenhöhe darstellt, vereinnahmt der Kardinalsdekan unter der Hand für seine Freundschaftsdefinition als Herr-Knecht-Beziehung: „Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage“ (Johannes 15.14). Und er geht noch weiter, indem er postuliert, dass „Jesus in der Stunde von Getsemani unseren widerspenstigen menschlichen Willen in einen Willen verwandelt (hat), der dem göttlichen Willen entspricht.“ Der Abschnitt gipfelt in einer für Joseph Ratzinger typischen Polarisierung, nämlich zwischen dem „Drama unserer Autonomie“ und der uns von Gott geschenkten „wahren Freiheit“ der Willenskonformität, die er mit Matthäus 26.39 illustriert: „Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst.“
Das zweite herangezogene Johanneswort lautet: „Ich habe euch dazu bestimmt, dass ihr euch aufmacht und Frucht bringt und dass eure Frucht bleibt“ (Johannes 15,16). Wozu hat Gott uns - dem Klerus - seine Freundschaft geschenkt? Ratzingers Antwort: Damit wir den Glauben an die anderen weitergeben. Zu dessen Ausgangssituation gehört, dass irdische Dinge keinen Bestand haben. „Das einzige, was ewig bleibt, ist die menschliche Seele, der von Gott für die Ewigkeit erschaffene Mensch.“ Es ist Aufgabe der Priester, die Frucht der immer währenden Freude des Herrn in die menschlichen Seelen zu säen. „Nur so wird die Erde vom Tal der Tränen in einen Garten Gottes verwandelt.“
Der Kardinal beschließt seine Predigt mit einer weiteren Stelle aus dem Epheserbrief: „Er gab den Menschen Geschenke.“ (Epheser 4.8) Auch dieser Bibelstelle drückt er seinen eigenen Stempel auf: „Der Sieger verteilt Geschenke.“ Was sind die Geschenke Christi an die Menschen? Nach Joseph Ratzinger sind es „Apostel, Propheten, Evangelisten, Hirten und Lehrer.“
Eine Bewertung der Kernaussagen Joseph Ratzingers und ein Vergleich mit den Leitvorstellungen des Papstes Franziskus ist Thema meines nächsten Jugendstilbeitrages. Dennoch möchte ich die Schlusspointe der Kardinalspredigt nicht unkommentiert lassen. Ich spitze zu: Christus wird vom Kardinalsdekan zum Sieger hochstilisiert, und die siegreichen Heerscharen - oder sollte man sagen Herrscharen - seines Gefolges sind die eingeweihten Träger der Offenbarung sowie vermutlich der höhere Klerus. Der nicht in die Hierarchie eingebundene Theologe und der mündige Gläubige haben fortan die Wahl, sich entweder mit dem Sieger zu identifizieren oder Gefahr zu laufen, sich im Lager der Verlierer wiederzufinden. Im ersten Falle ließe man sich von den kirchlichen Amtsträgern beglücken und würde der hierarchischen Autorität freudigen Herzens Gehorsam leisten. Im zweiten Falle wäre der normale Gläubige von seiner Bedeutung her vernachlässigbar. Der eigenständig denkende Theologe oder der kritische Kleriker oder der zum Wohl von Menschen kirchliche Normen missachtende Ordensangehörige aber würde mit der Institution zu tun bekommen, der Joseph Ratzinger von 1982 bis 2005 vorstand und die bis 1908 als Inquisition, dann als Heiliges Offizium und seit 1965 als Kongregation für die Glaubenslehre bezeichnet wird. Wie viele Akten die geheim arbeitende Behörde im Lauf der letzten Jahrzehnte angelegt hat, weiß niemand, aber es ist sind nicht wenige und oft besonders profilierte Mitchristen, die mit disziplinären Maßnahmen traktiert wurden. Das Spektrum reicht hier von «Bußschweigen», Lehr- und Publikationsverbot, dem Entzug der Predigterlaubnis, der Suspension vom priesterlichen Dienst bis hin zur Exkommunikation. Das Gegenstück zur Diktatur des Relativismus ist die Diktatur der Wahrheit, und wie jeder Diktatur fallen auch dieser Menschen zum Opfer.
Stefan Schopf für die Ausgabe 30 der Jugendstil, 23.04.2013
Dem Begriff der Freundschaft nähert sich Ratzinger mit Sallust: „Dasselbe wollen und dasselbe nicht wollen, das erst ist feste Freundschaft.“ Was sich bei dem römischen Geschichtsschreiber als Freundschaft auf Augenhöhe darstellt, vereinnahmt der Kardinalsdekan unter der Hand für seine Freundschaftsdefinition als Herr-Knecht-Beziehung: „Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage“ (Johannes 15.14). Und er geht noch weiter, indem er postuliert, dass „Jesus in der Stunde von Getsemani unseren widerspenstigen menschlichen Willen in einen Willen verwandelt (hat), der dem göttlichen Willen entspricht.“ Der Abschnitt gipfelt in einer für Joseph Ratzinger typischen Polarisierung, nämlich zwischen dem „Drama unserer Autonomie“ und der uns von Gott geschenkten „wahren Freiheit“ der Willenskonformität, die er mit Matthäus 26.39 illustriert: „Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst.“
Das zweite herangezogene Johanneswort lautet: „Ich habe euch dazu bestimmt, dass ihr euch aufmacht und Frucht bringt und dass eure Frucht bleibt“ (Johannes 15,16). Wozu hat Gott uns - dem Klerus - seine Freundschaft geschenkt? Ratzingers Antwort: Damit wir den Glauben an die anderen weitergeben. Zu dessen Ausgangssituation gehört, dass irdische Dinge keinen Bestand haben. „Das einzige, was ewig bleibt, ist die menschliche Seele, der von Gott für die Ewigkeit erschaffene Mensch.“ Es ist Aufgabe der Priester, die Frucht der immer währenden Freude des Herrn in die menschlichen Seelen zu säen. „Nur so wird die Erde vom Tal der Tränen in einen Garten Gottes verwandelt.“
Der Kardinal beschließt seine Predigt mit einer weiteren Stelle aus dem Epheserbrief: „Er gab den Menschen Geschenke.“ (Epheser 4.8) Auch dieser Bibelstelle drückt er seinen eigenen Stempel auf: „Der Sieger verteilt Geschenke.“ Was sind die Geschenke Christi an die Menschen? Nach Joseph Ratzinger sind es „Apostel, Propheten, Evangelisten, Hirten und Lehrer.“
Eine Bewertung der Kernaussagen Joseph Ratzingers und ein Vergleich mit den Leitvorstellungen des Papstes Franziskus ist Thema meines nächsten Jugendstilbeitrages. Dennoch möchte ich die Schlusspointe der Kardinalspredigt nicht unkommentiert lassen. Ich spitze zu: Christus wird vom Kardinalsdekan zum Sieger hochstilisiert, und die siegreichen Heerscharen - oder sollte man sagen Herrscharen - seines Gefolges sind die eingeweihten Träger der Offenbarung sowie vermutlich der höhere Klerus. Der nicht in die Hierarchie eingebundene Theologe und der mündige Gläubige haben fortan die Wahl, sich entweder mit dem Sieger zu identifizieren oder Gefahr zu laufen, sich im Lager der Verlierer wiederzufinden. Im ersten Falle ließe man sich von den kirchlichen Amtsträgern beglücken und würde der hierarchischen Autorität freudigen Herzens Gehorsam leisten. Im zweiten Falle wäre der normale Gläubige von seiner Bedeutung her vernachlässigbar. Der eigenständig denkende Theologe oder der kritische Kleriker oder der zum Wohl von Menschen kirchliche Normen missachtende Ordensangehörige aber würde mit der Institution zu tun bekommen, der Joseph Ratzinger von 1982 bis 2005 vorstand und die bis 1908 als Inquisition, dann als Heiliges Offizium und seit 1965 als Kongregation für die Glaubenslehre bezeichnet wird. Wie viele Akten die geheim arbeitende Behörde im Lauf der letzten Jahrzehnte angelegt hat, weiß niemand, aber es ist sind nicht wenige und oft besonders profilierte Mitchristen, die mit disziplinären Maßnahmen traktiert wurden. Das Spektrum reicht hier von «Bußschweigen», Lehr- und Publikationsverbot, dem Entzug der Predigterlaubnis, der Suspension vom priesterlichen Dienst bis hin zur Exkommunikation. Das Gegenstück zur Diktatur des Relativismus ist die Diktatur der Wahrheit, und wie jeder Diktatur fallen auch dieser Menschen zum Opfer.
Stefan Schopf für die Ausgabe 30 der Jugendstil, 23.04.2013