Papst Fanziskus hat eine Bischofssynode zu den Themen Ehe, Familie und Sexualität einberufen. Im Vorfeld wurden weltweit Fragebögen verschickt und ein Konsistorium (sc. Vollversammlung der Kardinäle) abgehalten. Ende Juni 2014 veröffentlichte der Vatikan das „Instrumentum laboris“ (sc. Arbeitspapier), in das die Fragebogenergebnisse eingearbeitet sind. Das Vorgehen des Papstes hat traditionalistische Kreise veranlasst, diffamierend von einem „Dritten Konzil“ zu sprechen. Ins Positive gewendet könnte die Synode zu einem Forum der Auseinandersetzung werden, das die festgefahrene katholische Morallehre in Bewegung bringt und - vergleichbar mit dem II. Vatikanum - zu einer Aufbruchsituation führt.
Die herausgeforderte Bischofssynode
Im September 2013 äußerte
Papst Franziskus gegenüber der Tageszeitung „La Repubblika“, dass er den
Impetus des II. Vatikanums in Richtung Zukunft und moderne Kultur wieder aufnehmen
wolle, und zwar in dem Bewusstsein, dass das Ökumene und Glaubensdialog
bedeute. Zu diesem Zeitpunkt hatte er schon die von ihm geplante und am
08.10.2013 angekündigte Bischofssynode zum Thema Familie vor Augen. Die zweistufig
angelegte Versammlung beginnt im Oktober 2014 mit der fragebogenbasierten
Bestandsaufnahme und wird den Bischöfen die Gelegenheit zu Statements und Vorschlägen
geben. Ein Jahr später sollen dann im Rahmen einer ordentlichen Bischofssynode
Beschlüsse hinsichtlich des Bereichs Familienpastoral gefasst werden. Zur
Vorbereitung der Synode wurde am 26.06.2014 ein vom Generalsekretariat der
Synode zusammen mit dem Rat des Sekretariates erarbeitetes umfangreiches
Grundlagenpapier – das sogenannte „Instrumentum
laboris“ – der Öffentlichkeit vorgelegt.
Im ersten Abschnitt des
Vorworts der Arbeitsgrundlage wird allgemein von einer Krise der Gegenwart gesprochen, die für die Evangelisierung der
Familie, die ja im Zentrum von Gesellschaft und Kirche steht, eine Herausforderung
wäre. Am Beginn des zweiten Abschnitts steht eine programmatische Aussage:
„Im Bewusstsein dessen, dass die «apostolische
Überlieferung in der Kirche unter dem Beistand des Heiligen Geistes einen
Fortschritt kennt» (DV 8) ist die Außerordentliche Generalversammlung der
Bischofssynode zum Thema: Die pastoralen Herausforderungen im Hinblick auf die
Familie im Kontext der Evangelisierung dazu aufgerufen, über den Weg
nachzudenken, den es zu gehen gilt, wenn allen Menschen die Wahrheit der ehelichen
Liebe und der Familie verkündet und auf vielfache Herausforderungen geantwortet
werden soll (vgl. EG 66).“
Sucht man den zitierten Satz
(DV8) in der Konstitution Dei Verbi auf, so findet man am Ende des entsprechenden
Abschnitts ein bemerkenswert prozessuales Wahrheitskonzept:
„Die
Kirche strebt im Gang der Jahrhunderte ständig der Fülle der göttlichen
Wahrheit entgegen, bis an ihr sich Gottes Worte erfüllen.“
Das impliziert aus meiner
Sicht, dass die katholische Kirche zum Zeitpunkt einer konkreten
geschichtlichen Ausformung in Rechnung stellen muss, dass das, was sie als
Wahrheit erkannt hat, möglicherweise nur eine vorläufige, zeitbedingte Wahrheit
ist und dass es eine nicht aufhebbare Differenz zwischen der systematisch defizienten Wahrheit der
irdischen Kirche Jesu Christi und der Fülle der göttlichen Wahrheit gibt.
Das Auseinanderdriften von kirchlicher Moral und gesellschaftlichem Ethos
Wenn man die Metapher der
Wegsuche beim Wort nimmt – … ist die Bischofssynode „dazu aufgerufen, über den Weg nachzudenken, den es zu gehen gilt“ -,
so gibt es auch Sackgassen, Umwege und Irrwege. Von daher ist der reklamierte
Fortschritt in der Kirche kein linearer, was bereits eine summarische
Durchsicht der Kirchengeschichte erkennen lässt.
Die Problemstellung, der
sich die Gegenwartskirche gegenüber sieht, kann man vielleicht so auf den Punkt
bringen: Während die katholische Morallehre statisch und affirmativ am
Althergebrachten festhält, reagiert die staatliche Gesetzgebung auf
gesellschaftlichen Wandel. Dieser vollzieht sich rapide und tiefgreifend, was
besonders augenfällig wird, wenn man das veränderte Verständnis von Familie in
den Blick nimmt. Traditionell katholisch
besteht Familie aus Mann und Frau, die sich im ehelichen Sakrament verbunden
haben, und deren Kindern. Empirisch betrachtet hat sich das Spektrum von
Familienformen in den Industriestaaten deutlich ausgeweitet. Viele Kinder
werden unehelich geboren, es gibt Eineltern-Familien, Patchwork-, Fortsetzungs-
und Regenbogenfamilien. Kinder, die von Trennung und Scheidung ihrer Eltern betroffen
sind, wechseln zwischen zwei Familien hin und her. Menschen, die geschieden
sind, unternehmen einen zweiten Anlauf in Richtung Ehe.
Mit den gesellschaftlich
ausdifferenzierten Familienkonstellationen geht einher eine zunehmende
Divergenz von katholischer Moral und gesellschaftlichem Ethos mit der Folge,
dass die Diskrepanzen so groß werden, dass sie von den meisten Gläubigen
lebenspraktisch nicht mehr integrativ bewältigt werden können. Im Ergebnis bildet
sich als kognitive Lösung eine Doppelstruktur aus. Das eine ist dann der Kosmos
der in sich konsistenten kirchenamtlichen Lehre und das andere ist das konkrete
Leben der Gläubigen, das handelnd zu bewältigen ist und durch mehr oder weniger
bewusste Entscheidungen von diesen gesteuert wird. Das kirchenamtliche
Regelsystem und der Regelzusammenhang moderner Lebensführung sind dann je
eigenständige Plausibilitätsstrukturen, die relativ unverbunden nebeneinander
stehen. Man weiß in groben Zügen, was die katholische Lehre besagt, erlebt
diese aber als praxisfern und nicht tauglich dafür, als Richtschnur für das eigenverantwortete
Leben zu dienen.
Konfliktfeld „Katholische Morallehre“
Im Vorfeld der auf den Weg
gebrachten Synode fand im Februar 2014 ein außerordentliches Konsistorium (sc.
Vollversammlung der Kardinäle) in Rom statt, das sich mit dem Thema Familie
befasste und mit einem Einleitungsreferat von Kardinal Walter Kasper eröffnet
wurde. Dieser konstatierte, „dass sich
zwischen der Lehre der Kirche zu Ehe und Familie und den gelebten Überzeugungen
vieler Christen ein Abgrund aufgetan hat.“ Diese Kluft sollte nach der
Auffassung Kaspers so überbrückt werden, dass die Kirche einerseits am
bindenden Glaubensgut - wie der Unauflöslichkeit der Ehe - festhält, aber
andererseits in der Nachfolge Jesu dafür Sorge trägt, dass ein gestrauchelter
oder vom Schicksal gebeutelter Mensch niemals der Barmherzigkeit Gottes
verlustig geht. Der Kardinal konkretisiert das anhand zweier Falltypen. Im
Hinblick auf Menschen, die von der Ungültigkeit ihrer ersten Ehe überzeugt
sind, regt er an, die bisherigen rigorosen kirchengerichtlichen Verfahren in
Frage zu stellen und ein seelsorgliches Prozedere einzuführen. Und die Frage
des Sakramentenempfangs von geschiedenen Wiederverheirateten betreffend
formuliert er fünf Bedingungen, die, wenn sie erfüllt sind, einen Ausschluss
des Gläubigen von der Eucharistie als nicht gerechtfertigt erscheinen lassen.
Welche Brisanz der von Papst
Franziskus gut geheißene Vorstoß Kardinal Kaspers hat, zeigt sich deutlich,
wenn man die panisch anmutenden Reaktionen des traditionalistischen
katholischen Lagers zur Kenntnis nimmt. Eine Fundgrube dafür ist die Website „katholisches.info“. In seinem Beitrag „Päpstliches Lob für Kasper und progressiver
Bannstrahl gegen die Glaubenslehre“ vom 12.04.2014 wirft Giuseppe Nardi zwei Fragen auf:
1. Ist die Einberufung der Bischofssynode nur der
Vorwand, um das Ehesakrament zu kappen?
2. Sind die wiederverheiratet Geschiedenen nur der
erste Schritt zu einer „neuen Moral“?
Der Autor insistiert, dass wiederverheiratet
Geschiedene in einem Dauerzustand der öffentlichen Sünde leben und deshalb vom
Kommunionempfang ausgeschlossen sind. Die Bischofskonferenzen Deutschlands und
der Schweiz würden hier Veränderungen anstreben. Seinen Beitrag beschließt
Nardi mit dem Hinweis, „ dass
Kaspers Lockerungsformel sich nicht nur auf die Frage der wiederverheiratet
Geschiedenen anwenden läßt, sondern theoretisch als Universalschlüssel zur
Aushebelung der gesamten Glaubenslehre durch eine ‚neue Praxis’.“
Auch Roberto de Mattei, einer
der Cheftheoretiker des traditionalistischen Katholizismus, wittert die Gefahr
einer „neuen Moral“. In seinem Kommentar vom 03.04.2014 mit der Überschrift „Was
Gott vereint, kann auch Kasper nicht trennen – Versuch einer paradoxen
Kulturrevolution in der Kirche“ warnt
er vor einem Dominoeffekt:
„Wenn erst einmal die Legitimität des nachehelichen
Zusammenlebens zulässig ist, wäre es nicht einsichtig, warum nicht auch das
voreheliche Zusammenleben erlaubt sein sollte, wenn ‚stabil und aufrichtig’.
Damit fallen die ‚absoluten Prinzipien’ und die ‚unzerstörbare Absolutheit auch
nur eines einzigen sittlichen Wertes’, die Johannes Paul II. mit seiner
Enzyklika Veritatis splendor mit so großem Nachdruck bekräftigt hatte.“
Am Ende seines Beitrags führt er die katholische Morallehre als uneinnehmbare Festung vor Augen,
indem er eine Aussage von Pius XII. aus dem Jahr 1946 zitiert: „Die zwischen Getauften gültig geschlossene
und vollzogene Ehe kann durch keine Macht der Welt gelöst werden, nicht einmal
durch die höchste kirchliche Autorität.“ Damit es auch jeder versteht, fügt de Mattei hinzu: „Oder anders gesagt, nicht
einmal durch den Papst und erst recht nicht durch Kardinal Kasper.“ Die Absolutheit der Aussage ist von der Wirklichkeit allerdings nicht gedeckt, denn bei nachgewiesenem oder durch den Diözesanbischof erklärtem Tod (c. 1707 CIC) des Ehepartners gilt die Ehe als aufgelöst (c. 1141 CIC), womit auch kirchlich einer neuen Eheschließung nichts im Wege steht.
Sind wir auf dem Weg zum III. Vatikanum?
Was das traditionalistische
Lager der Kirche fürchtet wie der Teufel das Weihwasser, ist eine Neuauflage
des zweiten vatikanischen Konzils. In dieser Zeit wurden während eines
dynamischen Diskurses unverrückbar erscheinende kirchliche Grundprinzipien in
Frage gestellt, überformt oder neu definiert. Für Alessandro Gnocchi ist die Wirklichkeit den
Befürchtungen schon voraus. Verärgert über das, was in der Tageszeitung „La Repubblica“ am 13.07.2014 über ein Gespräch zu lesen war, das
Papst Franziskus mit dem Kolumnisten
Eugenio Scalfari geführt hatte,
schreibt er einen Kommentar auf katholisches.info
und betitelt seinen Beitrag vom 28.07.2014 mit : „Haben wir es schon bemerkt? Wir sind mitten im Vaticanum III“.
Sein Befund lautet:
„Die katholische Welt befindet sich bereits mitten im
Dritten Vatikanum, das über die Medien einberufen und zelebriert wird. Die
römische Location wurde durch die globale Aula ersetzt … Die
Vorbereitungsschemata wurden von den Massenmedien redigiert und verbreitet und
die Diskussion steht bereitwillig auch für den armseligsten weltlichen
Lufthauch offen.“
Das Statement wirkt –
möglicherweise auch übersetzungsbedingt – sehr eigenwillig. War es für das II.
Vatikanum charakteristisch, dass sich der Weltklerus nicht von der römischen
Kurie an die Kandare nehmen ließ, kommt es in den Augen von A. Gnocchi mit dem,
was er III. Vatikanum nennt, noch schlimmer. Jetzt werden die anstehenden
Themen nicht in Rom verhandelt und durch kuriale Regie in die richtige Richtung
und zu gewünschten Ergebnissen gelenkt, sondern der Fragebogen zu Ehe, Familie
und Sexualität, den der Papst an die Bischöfe der Welt verschicken ließ, ist
für jedermann im Internet zugänglich. Auch das Grundlagenpapier der
Sonderbischofssynode 2014 – „Instrumentum
laboris“ – kann die Öffentlichkeit über die Homepage des Vatikan jederzeit
zur Kenntnis nehmen. Dass die Vorlage dann diskutiert wird und sich
Kommentatoren zu Wort melden, ist selbstverständlich und offensichtlich vom
Papst auch erwünscht. Was A. Gnocchi – ich paraphrasiere - als Einbruch von
kümmerlicher, stümperhafter Profanität in die Sakralität der Kirche wahrnimmt,
ist für seine Opponenten die große Chance, mittels moderner
Kommunikationsmittel einen innerkirchlichen Meinungsbildungsprozess in Gang zu
bringen, aus dem sich ein Sensus fidelium (sc.: der Glaubenssinn des ganzen
Gottesvolkes) herauskristallisieren könnte, der dann empirisch unterfüttert
wäre.
Klar zu unterscheiden sind allerdings
Meinungsbildung und Entscheidung. Nachdem die Bischöfe und der Papst gehört
haben, was die Katholiken in aller Welt gesagt haben, wird der Eskopat
zusammmen mit dem Papst Beschlüsse fassen.
Mit seiner Bezeichnung III.
Vatikanum scheint Alessandro Gnocchi gar nicht so falsch zu liegen. Denn
bislang waren die von Papst Paul VI. im Jahr 1965 eingeführten Bischofssynoden
Konferenzen, die insbesondere Johannes Paul II. nützte, um die von ihm für
unabdingbar gehaltene Einstimmigkeit und Einheit der Kirche zur Schau zu
stellen (vgl. Reese,1998, S. 87). Wenn Franziskus jetzt den Akzent auf
Synodalität legt, das heisst auf offene und kontroverse Diskussion, so ist die
Bischofssynode nicht mehr ein den Papst bestätigendes Gremium, sondern es
werden inhaltliche Auseinandersetzungen stattfinden, die am Ende in
Entscheidungen münden. Papst Franziskus hätte damit seine Ankündung eingelöst,
dass er „so bescheiden und so ehrgeizig
(ist)“ (Interview La Repubblika),
den Impetus des Konzils aufzunehmen und in den Glaubensdialog einzutreten.
Alessandro Gnocchi und den
katholischen Traditionalisten sei ins Stammbuch geschrieben, was der Pontifex
im April dieses Jahres gepredigt hat:
„Das Konzil war ein großartiges Werk des Heiligen
Geistes … Aber heute, 50 Jahre danach, müssen wir uns fragen: Haben wir da all
das getan, was uns der Heilige Geist im Konzil gesagt hat? … Wir feiern dieses
Jubiläum und es scheint, dass wir dem Konzil ein Denkmal bauen, aber eines, das
nicht unbequem ist, das uns nicht stört. Wir wollen uns nicht verändern und es
gibt sogar auch Stimmen, die gar nicht vorwärts wollen, sondern zurück: Das ist
dickköpfig, das ist der Versuch, den Heiligen Geist zu zähmen. So bekommt man
törichte und lahme Herzen.“
Franziskus, Predigt am
16.04.2013
Instrumentum
laboris für die außerordentliche Bischofssynode im Oktober 2014 in Rom
Katholisches.info. Magazin für Kirche und Kultur
Reese, Thomas J.: Im Inneren des Vatikan. Politik und Organisation der katholischen Kirche. Fischer: 1998
Quellen
Dei Verbum. Dogmatische Konstitution über die Offenbarung
EG Evangelii Gaudium. Apostolisches Schreiben des Heiligen Vaters
Fragebogen zur Vorbereitung der Bischofssynode
Dei Verbum. Dogmatische Konstitution über die Offenbarung
EG Evangelii Gaudium. Apostolisches Schreiben des Heiligen Vaters
Fragebogen zur Vorbereitung der Bischofssynode
Katholisches.info. Magazin für Kirche und Kultur
Reese, Thomas J.: Im Inneren des Vatikan. Politik und Organisation der katholischen Kirche. Fischer: 1998