Der Beitrag erinnert daran, dass der von Erzbischof Robert Zollitsch im September 2010 proklamierte Aufbruch in der Kirche einen universalen Vorläufer hat: Das vor 50 Jahren eröffnete II. Vatikanische Konzil. Fasst man das Projekt Aufbruch im Jahr 2012 näher ins Auge, zeigt sich, dass die Leitvorstellungen einer Neugestaltung je nach Hierarchieebene sehr divergieren.
Von Papst Johannes XXIII.,
der am 28. Oktober 1958 zum Papst gewählt wurde, wird folgende Anekdote
erzählt: Ein besorgter Kurienkardinal fragte ihn „Wozu denn ein Konzil, Eure
Heiligkeit?" Daraufhin ging der Papst zum Fenster, öffnete es und sagte: „Um
frischen Wind hereinzulassen!"
Im Januar 1959 kündigte
Johannes das II. Vatikanische Konzil an, das dann am 11. Oktober 1962 im zu
einer Konzilsaula umgebauten Petersdom begann.
Seine Eröffnungsansprache hielt der Papst vor 2540 Bischöfen und anderen
Konzilsvätern in lateinischer Sprache. Leitbegriff für die Arbeit des Konzils war
ein sogenanntes „aggiornamento“, eine Verheutigung. Die noch sehr vom 19.
Jahrhundert her bestimmte Kirche sollte auf die Höhe der Zeit gebracht werden.
Die vatikanische Kurie war
alles andere als begeistert und versuchte im Vorfeld durch Einflussnahme auf
die Tagesordnung und die personelle Besetzung der Konzilskommisionen, das
Konzil in den Griff zu nehmen. Bereits am dritten Tag der ersten Sitzungsperiode
kam es zum Showdown, bei dem sich die Weltbischöfe mit dem Segen des Papstes
gegen die vatikanische Regierungsbehörde durchsetzten. Von nun an wehte ein
lebendiger, frischer Geist in den Konzilsversammlungen und als das II. Vatikanum
1965 seinen Abschluss fand, konnte es bahnbrechende Ergebnisse vorweisen und wurde
zum Symbol für die Erneuerung der katholischen Kirche.
Ich springe ins Jahr 2010.
Im Januar dieses Jahres machte der Jesuit Klaus Mertes, Schulleiter des
Canisius-Kollegs in Berlin, Fälle von sexuellem Missbrauch, die in den 70er und
80er Jahren passiert waren, öffentlich und brachte damit eine Lawine ins
Rollen.
Als dann im September
Erzbischof Robert Zollitsch bei der Herbstvollversammlung der Deutschen
Bischofskonferenz sein Impulsreferat hielt,
diagnostizierte er eine Krise der katholischen Kirche in Deutschland,
die zu einer hörenden Kirche werden müsse und eines neuen Aufbruchs bedürfe. Im
März 2011 wandten sich die deutschen Bischöfe in einem Hirtenwort an die
Gemeinden und luden in einer „Situation,
die durch Sorgen, Anfragen und Spannungen in unseren Bistümern gekennzeichnet ist“, zu
einem vierjährigen Gesprächsprozess - beginnend 2011 - ein, der dann 2015 in
das Gedenkjahr des Konzilsjubiläums einmünden soll. Das Zentralkomitee der deutschen
Katholiken ist in diesen Besinnungs- und Erneuerungsprozess miteinbezogen und
stellte den Katholikentag im Mai 2012 unter das Motto: „Einen neuen Aufbruch
wagen.“
Universalkirchlicher
Aufbruch vor 50 Jahren und Aufbruch heute. Wohin soll die Reise gehen? Zunächst
ist festzustellen, dass die innerkirchlichen Zielvorstellungen weit auseinander
klaffen. Was Papst Benedikt will, lässt sich - soweit ich sehe - in drei
Punkten zusammenfassen:
1. Er favorisiert lebendige
katholische Erneuerungsbewegungen, die der Hierarchie in radikalem Gehorsam
ergeben sind - z.B. Fokolare, das Neokatechumenat, Gemeinschaft Sant’Egidio ...
(vgl. Gründonnerstagspredigt 2012) „Der Schaden der Kirche kommt nicht von
ihren Gegnern, sondern von den lauen Christen“ (Gebetsvigil in Freiburg 2011)
2. Entweltlichung der Kirche:
„Die von ihrer materiellen und politischen Last befreite Kirche kann sich
besser und auf wahrhaft christliche Weise der ganzen Welt zuwenden ...“
(Benedikt, Freiburger Konzerthausrede 2011)
3. Neuevangelisation in
Europa: Benedikt richtete 2010 den Päpstlichen Rat
zur Förderung der Neuevangelisierung ein, der der Kirche „vor allem in jenen
Ländern alter christlicher Tradition eine besondere Hilfe bieten (soll), die
gegenüber dem Wort Gottes scheinbar gleichgültig, wenn nicht gar feindselig
geworden sind.“ (Ansprache am 15.10.2011)
Die deutschen
Bischöfe stehen vor der Herausforderung, dass die Katholiken in Deutschland
weniger, die Kirchen leerer werden und vor allem, dass die Zahl der Pfarrer
rapide zurückgeht. Nach polarisierten Konflikten mit Rom - 1993 zur Frage der Zulassung von
wiederverheirateten Geschiedenen zur Kommunion
und 1999 der von Rom verordnete Ausstieg aus der Schwangerenkonfliktberatung
- geht es gegenwärtig um die vom Papst verlangte Abänderung der
Einsetzungsworte des Hochgebetes. Innerhalb der Messbuchformulierung „Mein Blut, das für Euch und für alle vergossen wird“ soll das „für alle“ durch „für viele“ ersetzt werden.
Erzbischof
Zollitsch erklärte am 24.09.2010 für die Deutsche Bischofskonferenz, „dass das
bisherige Deutsche Messbuch (2. Auflage) weithin den Anforderungen einer
textgetreuen Übersetzung entspricht ... Viele Texte sind Priestern und
Gläubigen durch den praktischen Vollzug vertraut. Dieser hohe Wert darf durch
eine grundständig neue Übersetzung nicht gefährdet werden.“
Die apodiktische
Antwort des Papstes: „ (Es) ist vom Heiligen Stuhl entschieden worden, dass bei
der neuen Übersetzung des Missale das Wort „pro multis“ (für viele, Verf.) als
solches übersetzt und nicht zugleich schon ausgelegt werden müsse.“ (Schreiben
vom 14.04.2012)
Hinzu kommt,
dass die Deutsche Bischofskonferenz in sich zerstritten ist. Das lässt sich bereits
daran ablesen, dass die Hälfte der Bischöfe dem Katholikentag fernblieben und
in einem Drittel der Diözesen der von Erzbischof Zollitsch inaugurierte
Gesprächsprozess nicht stattfindet.
An der Kirchenbasis
rumort es vor allem dort, wo aus althergebrachten Pfarrgemeinden „XXL- Pfarren“
werden sollen, mit weiten Fahrwegen und überörtlichen Gremienstrukturen. Die
ökumenische Bewegung ist seit der im Jahr 2000 vom Präfekten der
Glaubenskongregation, Joseph Ratzinger, herausgegebenen Erklärung „Dominus
Jesus“ auf einem Tiefpunkt. Dort wird den reformatorischen Kirchen der
Kirchenstatus aberkannt und sie werden nurmehr als „kirchliche Gemeinschaften“
eingestuft. Sodann gibt es eine Reihe von Reformanliegen, die manchen
katholischen Hierarchen bereits sei Jahrzehnten nerven: Katholische
Sexualmoral, Diakonat der Frau, Zölibat, Umgang mit wiederverheirateten
Geschiedenen, mehr Demokratie in der Kirche.
Bei dieser disparaten Gemengelage stellt sich die Frage, welche Aufbrüche, Umbrüche und Einbrüche die Zukunft bringen wird. Dazu mehr in der nächsten Jugendstil.
Stefan Schopf für die Ausgabe 26 der Jugendstil, 26.06.2012
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