Dienstag, 26. Juni 2012

Aufbruch in der Kirche?

Der Beitrag erinnert daran, dass der von Erzbischof Robert Zollitsch im September 2010 proklamierte Aufbruch in der Kirche einen universalen Vorläufer hat: Das vor 50 Jahren eröffnete II. Vatikanische Konzil. Fasst man das Projekt Aufbruch im Jahr 2012 näher ins Auge, zeigt sich, dass die Leitvorstellungen einer Neugestaltung je nach Hierarchieebene sehr divergieren.


Von Papst Johannes XXIII., der am 28. Oktober 1958 zum Papst gewählt wurde, wird folgende Anekdote erzählt: Ein besorgter Kurienkardinal fragte ihn „Wozu denn ein Konzil, Eure Heiligkeit?" Daraufhin ging der Papst zum Fenster, öffnete es und sagte: „Um frischen Wind hereinzulassen!"
Im Januar 1959 kündigte Johannes das II. Vatikanische Konzil an, das dann am 11. Oktober 1962 im zu einer Konzilsaula  umgebauten Petersdom begann. Seine Eröffnungsansprache hielt der Papst vor 2540 Bischöfen und anderen Konzilsvätern in lateinischer Sprache. Leitbegriff für die Arbeit des Konzils war ein sogenanntes „aggiornamento“, eine Verheutigung. Die noch sehr vom 19. Jahrhundert her bestimmte Kirche sollte auf die Höhe der Zeit gebracht werden.

Die vatikanische Kurie war alles andere als begeistert und versuchte im Vorfeld durch Einflussnahme auf die Tagesordnung und die personelle Besetzung der Konzilskommisionen, das Konzil in den Griff zu nehmen. Bereits am dritten Tag der ersten Sitzungsperiode kam es zum Showdown, bei dem sich die Weltbischöfe mit dem Segen des Papstes gegen die vatikanische Regierungsbehörde durchsetzten. Von nun an wehte ein lebendiger, frischer Geist in den Konzilsversammlungen und als das II. Vatikanum 1965 seinen Abschluss fand, konnte es bahnbrechende Ergebnisse vorweisen und wurde zum Symbol für die Erneuerung der katholischen Kirche.

Ich springe ins Jahr 2010. Im Januar dieses Jahres machte der Jesuit Klaus Mertes, Schulleiter des Canisius-Kollegs in Berlin, Fälle von sexuellem Missbrauch, die in den 70er und 80er Jahren passiert waren, öffentlich und brachte damit eine Lawine ins Rollen.
Als dann im September Erzbischof Robert Zollitsch bei der Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz sein Impulsreferat hielt,  diagnostizierte er eine Krise der katholischen Kirche in Deutschland, die zu einer hörenden Kirche werden müsse und eines neuen Aufbruchs bedürfe. Im März 2011 wandten sich die deutschen Bischöfe in einem Hirtenwort an die Gemeinden und luden in einer  „Situation, die durch Sorgen, Anfragen und Spannungen in unseren Bistümern gekennzeichnet ist“, zu einem vierjährigen Gesprächsprozess - beginnend 2011 - ein, der dann 2015 in das Gedenkjahr des Konzilsjubiläums einmünden soll. Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken ist in diesen Besinnungs- und Erneuerungsprozess miteinbezogen und stellte den Katholikentag im Mai 2012 unter das Motto: „Einen neuen Aufbruch wagen.“

Universalkirchlicher Aufbruch vor 50 Jahren und Aufbruch heute. Wohin soll die Reise gehen? Zunächst ist festzustellen, dass die innerkirchlichen Zielvorstellungen weit auseinander klaffen. Was Papst Benedikt will, lässt sich - soweit ich sehe - in drei Punkten zusammenfassen:
1. Er favorisiert lebendige katholische Erneuerungsbewegungen, die der Hierarchie in radikalem Gehorsam ergeben sind - z.B. Fokolare, das Neokatechumenat, Gemeinschaft Sant’Egidio ... (vgl. Gründonnerstagspredigt 2012) „Der Schaden der Kirche kommt nicht von ihren Gegnern, sondern von den lauen Christen“ (Gebetsvigil in Freiburg 2011)
2. Entweltlichung der Kirche: „Die von ihrer materiellen und politischen Last befreite Kirche kann sich besser und auf wahrhaft christliche Weise der ganzen Welt zuwenden ...“ (Benedikt, Freiburger Konzerthausrede 2011)
3. Neuevangelisation in Europa: Benedikt richtete 2010 den Päpstlichen Rat zur Förderung der Neuevangelisierung ein, der der Kirche „vor allem in jenen Ländern alter christlicher Tradition eine besondere Hilfe bieten (soll), die gegenüber dem Wort Gottes scheinbar gleichgültig, wenn nicht gar feindselig geworden sind.“ (Ansprache am 15.10.2011)

Die deutschen Bischöfe stehen vor der Herausforderung, dass die Katholiken in Deutschland weniger, die Kirchen leerer werden und vor allem, dass die Zahl der Pfarrer rapide zurückgeht. Nach polarisierten Konflikten mit Rom  - 1993 zur Frage der Zulassung von wiederverheirateten Geschiedenen zur Kommunion  und 1999 der von Rom verordnete Ausstieg aus der Schwangerenkonfliktberatung - geht es gegenwärtig um die vom Papst verlangte Abänderung der Einsetzungsworte des Hochgebetes. Innerhalb der Messbuchformulierung Mein Blut, das für Euch und für alle vergossen wird“ soll das „für alle“ durch „für viele“ ersetzt werden.
Erzbischof Zollitsch erklärte am 24.09.2010 für die Deutsche Bischofskonferenz, „dass das bisherige Deutsche Messbuch (2. Auflage) weithin den Anforderungen einer textgetreuen Übersetzung entspricht ... Viele Texte sind Priestern und Gläubigen durch den praktischen Vollzug vertraut. Dieser hohe Wert darf durch eine grundständig neue Übersetzung nicht gefährdet werden.“
Die apodiktische Antwort des Papstes: „ (Es) ist vom Heiligen Stuhl entschieden worden, dass bei der neuen Übersetzung des Missale das Wort „pro multis“ (für viele, Verf.) als solches übersetzt und nicht zugleich schon ausgelegt werden müsse.“ (Schreiben vom 14.04.2012)
Hinzu kommt, dass die Deutsche Bischofskonferenz in sich zerstritten ist. Das lässt sich bereits daran ablesen, dass die Hälfte der Bischöfe dem Katholikentag fernblieben und in einem Drittel der Diözesen der von Erzbischof Zollitsch inaugurierte Gesprächsprozess nicht stattfindet.

An der Kirchenbasis rumort es vor allem dort, wo aus althergebrachten Pfarrgemeinden „XXL- Pfarren“ werden sollen, mit weiten Fahrwegen und überörtlichen Gremienstrukturen. Die ökumenische Bewegung ist seit der im Jahr 2000 vom Präfekten der Glaubenskongregation, Joseph Ratzinger, herausgegebenen Erklärung „Dominus Jesus“ auf einem Tiefpunkt. Dort wird den reformatorischen Kirchen der Kirchenstatus aberkannt und sie werden nurmehr als „kirchliche Gemeinschaften“ eingestuft. Sodann gibt es eine Reihe von Reformanliegen, die manchen katholischen Hierarchen bereits sei Jahrzehnten nerven: Katholische Sexualmoral, Diakonat der Frau, Zölibat, Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen, mehr Demokratie in der Kirche.

Bei dieser disparaten Gemengelage stellt sich die Frage, welche Aufbrüche, Umbrüche und Einbrüche die Zukunft bringen wird. Dazu mehr in der nächsten Jugendstil.


Stefan Schopf für die Ausgabe 26 der Jugendstil, 26.06.2012

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